BGH-Urteil stärkt Privatmedizin

ARZT & WIRTSCHAFT (2003)
BGH-Urteil stärkt Privatmedizin

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Mit seinem Urteil vom 12. März 2003 (Az.: IV ZR 278/01) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine wegweisende Klärung zum Begriff „medizinisch notwendig“ geschaffen. Insbesondere die hervorragenden Ausführungen in der Urteilsbegründung haben enorme Bedeutung sowohl für die Rechtfertigung von Privatmedizin und privater Krankenversicherung als auch für die gesundheitspolitische Diskussion über das Ausmaß der Rationierung in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Denn der BGH hält zum Begriff „medizinisch notwendig“ in privaten Versicherungsverträgen unter anderem fest: „Medizinisch“ bezieht sich … auf „notwendig“. Dieser sprachliche Zusammenhang macht bei verständiger Lektüre deutlich, dass die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen ist. …

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht wohl, dass ihm nicht die Kosten für jede beliebige Behandlungsmaßnahme erstattet werden, sondern nur für eine solche, die objektiv geeignet ist, sein Leiden zu heilen, zu bessern oder zu lindern. Dass darüber hinaus der Versicherer seine Leistungspflicht nur auf die billigste Behandlungsmethode beschränken will, erschließt sich dem Versicherungsnehmer hingegen nicht. Aus seiner Sicht verliert eine medizinisch anerkannte Heilbehandlung das qualifizierende Merkmal „notwendig“ im Einzelfall nicht deshalb, weil sie teurer ist als eine nach Einschätzung des Versicherers gleichwertige, aber kostengünstigere Behandlung.“

Der BGH kann zu diesem Urteil nur beglückwünscht werden, da hierdurch die Patientenrechte gestärkt und die Täuschungsmanöver in der gesundheitspolitischen Argumentation entlarvt werden. Ab sofort darf Ulla Schmidt der Lüge und Patiententäuschung bezichtigt werden, wenn sie noch einmal behauptet, in der gesetzlichen Krankenversicherung werde „alles medizinisch Notwendige“ geleistet. Denn der BGH hat klargestellt: Wer das „medizinisch Notwendige“ verspricht, muss auch eine vom Patienten gewünschte teurere und damit vielleicht „unwirtschaftliche“ Behandlung bezahlen. Gerade das tut die GKV angesichts des immer bedeutsamer werdenden „Wirtschaftlichkeitsgebots“ jedoch nicht.

Die Träger der privaten Krankenversicherung, die jetzt aus vordergründigen Kostenaspekten das Urteil beklagen, sollten sich die Urteilsbegründung noch einmal genau anschauen. Denn der BGH hat in klaren Worten den fundamentalen Unterschied herausgearbeitet, der die gesetzliche von der privaten Krankenversicherung unterscheidet: Nur in der privaten Krankenversicherung findet der Bürger die Möglichkeit, seine Behandlung ausschließlich nach der medizinischen Notwendigkeit auszurichten.

Damit garantiert nur die private Krankenversicherung eine rationierungsfreie Versorgung. In Verbindung mit dem in Artikel 2 des Grundgesetzes verankerten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit erhalten PKV und Ärzteschaft hierdurch ein machtvolles Instrument, um alle politischen Aktivitäten zu unterbinden, die der PKV und der Privatmedizin das Existenzrecht absprechen wollen.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: BGH-Urteil stärkt Privatmedizin  – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 07/2003

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