Der Gynäkologe als Hausarzt?

ARZT & WIRTSCHAFT (2005)
Der Gynäkologe als Hausarzt?

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Die ambulante Gynäkologie durchlebt derzeit einen massiven Strukturwandel, der insbesondere das künftige Verhältnis zur hausärztlichen Versorgung bestimmen wird. Im Ergebnis könnten demnächst bestimmte bislang gynäkologische Leistungen, etwa die Menopausenbetreuung, in die hausärztliche Versorgung fallen. Umgekehrt dürften in wenigen Jahren zahlreiche Gynäkologen mangels anderweitiger Aufgaben in die hausärztliche Versorgung von Frauen drängen.

Übernehmen Gynäkologen bald Hausarzt-Leistungen?

Begrenzt man den Blick auf die wesentlichen Entwicklungen, so sind gleich vier Megatrends erkennbar, die in Ihrer Gesamtheit vor allem die ambulante Gynäkologie bereits in naher Zukunft stärker verändern werden als jedes andere Fachgebiet in der Medizin. Das offensichtlichste Problem ist ein demographisches: Mit dem Rückgang der Geburten nehmen auf natürliche Weise auch die Aufgaben in der Schwangerenbetreuung ab. Dies kann durch die verbesserten Überwachungsmöglichkeiten nicht kompensiert werden. Im Gegenteil: Die Hebammen drängen zunehmend in bislang von den Gynäkologen besetzte Bereiche. Zudem wird mit der Einführung eines regulären Mammographie-Screenings  die Bedeutung des niedergelassenen Gynäkologen auch in der Brustkrebsdiagnostik deutlich geschmälert. Letztlich bedeutet dies eine Reduzierung des Gynäkologen auf den Status eines Zuweisers für Brustkrebszentren. Ein ergänzendes sonographisches Screening wird ebenfalls nur sehr spezialisierten Gynäkologen vorbehalten bleiben.

Den jüngsten Nackenschlag hat die ambulante Gynäkologie aufgrund der medial überzeichneten Relativierung der hormonellen Ersatztherapie (HRT) einstecken müssen. Auch wenn das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, zeichnet sich eine stärkere Einbindung der HRT in bislang eher den Hausärzten vorbehaltene Betreuungskonzepte ab.

Das größte Risiko für das gewachsene Selbstbild der ambulanten Gynäkologie liegt jedoch in der anstehenden Neuordnung der Krebsvorsorge. Mit der Einführung eines HPV-Tests und der möglichen Verlängerung des Früherkennungs-Intervalls auf drei Jahre brechen den Gynäkologen nicht nur wesentliche Umsätze im GKV-Markt weg; vielmehr wird auch die Basis für zusätzliche IGeL-Angebote stark geschmälert. Hinzu kommt, dass die Selbstentnahme des Materials für den HPV-Test der gynäkologischen Abstrichentnahme hinsichtlich der Aussagekraft gleichwertig ist. Hierdurch rückt die Früherkennung der Zervixkarzinoms wieder näher an die hausärztlichen Strategien zur Krebsfrüherkennung.

Gemessen an diesem vielfältigen Strukturwandel dürfte die Zahl der ambulant tätigen Gynäkologen mit derzeit fast 10.000 deutlich zu hoch sein. Eine Reduzierung um mindestens 20 Prozent bis zum Jahr 2020 scheint unausweichlich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsste sich die Gynäkologie eigentlich weiterentwickeln in Richtung hausärztliche Betreuungsaufgaben bei Frauen. Doch weder die gynäkologischen Fachgesellschaften noch die Weiterbildungsgremien scheinen auf diesen Prozess vorbereitet zu sein. Ein schmerzliches Erwachen in der Zukunft ist im Grunde programmiert.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Der Gynäkologe als Hausarzt? – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 05/2005

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