Deutschland braucht die KBV!

ARZT & WIRTSCHAFT (2002)
 Deutschland braucht die KBV!

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Die Forderung nach Abschaffung oder Entmachtung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist genau so alt wie sie selbst. Dieses Schicksal teilt sie übrigens mit vielen Institutionen – von der Bundeswehr bis zur gesetzlichen Krankenversicherung. Daher sollten sich KBV und KVen von jeweils aktuellen Aufgeregtheiten nicht beeindrucken lassen. Dafür spricht auch die Qualität derjenigen Stimmen, welche die „Entmachtung “ fordern:

  • Da sind zum einen die Wütenden, die an der hohen Kompetenz und dem großen Einfluss der KBV schlichtweg nicht vorbeikommen.
  • Da sind die Enttäuschten, denen bestimmte Entscheidungen aufgrund gegenläufiger Einzelinteressen einfach nicht passen.
  • Da sind die Ahnungslosen, die nach texanischer Lebensphilosophie zunächst einmal das abschaffen, was sie nicht kennen.
  • Und da sind die Spieler, die freies Schussfeld für ihre Patienten-Experimente wollen und die KBV dabei als störend empfinden.

Am schlimmsten sind die Vertreter einer Kombination aus Ahnungslosigkeit und Spielsucht, die sich in komplizierten Zeiten mit einfachen Botschaften gerne als Heilsbringer feiern lassen. Protagonisten dieser gefährlichen Kombination haben es bis in die höchsten Beraterstäbe der Politik gebracht.

Doch Deutschland braucht die KBV. Sie steht wie keine andere Institution für den „Dritten Weg“ zwischen den Antipoden eines staatlichen und eines privatwirtschaftlichen Gesundheitssystems. Ohne KBV und Kollektivverträge ist die gegliederte Krankenversicherung ein Auslaufmodell. Denn einem Kassenkartell ohne kollektivvertragliche Einbettung fehlt jedwede Legitimation.

Außerdem hätten die meisten Kassen keine Chance, die notwendigen Einzelverträge mit den Leistungserbringern zu koordinieren. Damit wäre der Weg in Einheitsversicherung und Staatsmedizin vorgezeichnet, verbunden mit den dann unvermeidlichen Auswüchsen von Wartelisten und Zwei-Klassen-Medizin sowie einem explodierenden privaten Gesundheitsmarkt.

Am meisten würden jedoch die Patienten verlieren, wenn man die KBV ihrer wesentlichen Funktionen berauben würde. Denn die Patienten haben bislang am stärksten vom Bemühen der KBV um eine kontinuierliche, qualitätsgesicherte und bundesweit einheitliche Versorgung profitiert.

Auf Seiten der Ärzteschaft selbst dürften sich bei einer „Entmachtung“ von KBV und KVen Gewinner und Verlierer die Waage halten. Die marketingstarken Ärzte würden zur ersten Gruppe zählen, ihre Leistungen würden von Patienten und Kassen besonders nachgefragt. Die übrigen müssten ihr Heil in starken regionalen Verbünden suchen, die sich jetzt schon – wie weiland der frühe Hartmannbund – im Vorgriff auf die erwartete KV-lose Zeit gewerkschaftsartig positionieren. Daher ist die Antwort auf die Frage, was denn wäre, wenn es die KBV und die KVen nicht mehr gäbe – jedenfalls aus Sicht von Krankenkassen und Patienten – ganz einfach: Sie müssten erfunden werden!

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Deutschland braucht die KBV! – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 05/2002

Download des Original-Artikels