Die Ärzte haben keine Chance!

ARZT & WIRTSCHAFT (2003)
Die Ärzte haben keine Chance!

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

„Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!“

Dieser Kalauer scheint am Besten die aktuelle berufspolitische Befindlichkeit der Kassenärzte wiederzugeben. Einerseits sind die Aussichten extrem düster, andererseits ist die honorarpolitische Misere offensichtlich bei vielen Ärzten noch nicht angekommen. „Unseren Ärzten geht es gut“, geben etwa die APO-Banker hinter vorgehaltener Hand zu. Wer vor diesem Hintergrund wegen 0,8 Prozent Honorardifferenz das Kriegsbeil ausgräbt, sollte seine politischen Chancen sehr nüchtern abwägen:

  1. Die Ärzteschaft hat keine Verbündeten außerhalb der Gesundheitsberufe. Keine gesellschaftliche Gruppe und – bis auf die FDP – auch keine politische Partei wird den Kassenärzten Rückendeckung geben. Im Gegenteil: Gewerkschaften und Medien brennen schon darauf, den Ärzteprotest durch beißenden Spott und populäre Vereinfachungen zum Rohrkrepierer zu machen.
  2. Auch die Patienten werden den Ärzten nicht helfen: Der Patient ist sicher der Verbündete des Arztes, aber niemals Verbündeter der Ärzte. Und weil der einzelne Patient seinem Arzt keinerlei Anlass für Rationierung bietet, werden 90 Prozent der Ärzte dem Aufruf der Funktionäre nach Leistungsverweigerung bei ihren Patienten nicht folgen. Die Ärzte sind darauf sozialisiert, auch in schlechten Zeiten gut zu funktionieren. Wegen 0,8 Prozent lässt sich dieses kollektive Helfersyndrom nicht abstellen.
  3. Die Funktionäre bieten keinerlei praktikables Konzept für das „Wie“ der Rationierung an – weder auf der politischen noch auf der arztindividuellen Ebene. Die wild durcheinander diskutierten Vorschläge sind teilweise an Naivität nicht zu überbieten. Und sie führen zu nichts anderem, als zu einer Umverteilung der Patientenströme – und zwar weg von den „streikenden“ Ärzten. Einfallsloser kann man sich seine freiberufliche Zukunft gar nicht verbauen.

Nein! Die einzige Chance, die steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen trotz knapper öffentlicher Ressourcen zu befriedigen, besteht in der planvollen Entwicklung eines privat finanzierten Zweiten Gesundheitsmarktes. Nur hierdurch kann auch der notwenige politische Druck auf Gesetzgebung und Krankenversicherung entfaltet werden. Doch ausgerechnet diese Option wird derzeit von konzeptionslosen Arztfunktionären kaputtgeredet. Warum? Weil für einen Arztfunktionär der reflexartige Ruf nach mehr Geld aus „dem System“ viel bequemer ist als strategisch nachhaltiges Denken und Handeln, mit dem aus eigener Kraft ein neues Marktsegment aufgebaut wird.

Jetzt, wo auch für den letzten Tagträumer klar ist, dass „das System“ pleite ist, stehen diese Arztfunktionäre vor dem Scherbenhaufen ihres „Managements by Moses“: Sie führten ihr Volk in die Wüste und warteten auf ein Wunder. Und als das Wunder – wie zu erwarten war – nicht kam, versuchten sie es mit einem „Streik“ zu erzwingen. Dass dies nicht funktioniert, kann man auch in der Bibel nachlesen.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Die Ärzte haben keine Chance! – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 01/2003

Download des Original-Artikels