Die Ärzteschaft hat keine Lobby

ARZT & WIRTSCHAFT (2003)
Die Ärzteschaft hat keine Lobby

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

In der gesundheitspolitischen Diskussion ist kaum eine rhetorische Figur weniger zutreffend als das von den Medien gern gezeichnete Bild einer angeblich „starken Ärztelobby“. Nicht nur, dass die Ärzteschaft keinerlei Verbündete in anderen gesellschaftlichen Gruppen hat; auch die politische Arbeit der Ärzteschaft ist jedenfalls unter Ergebnisaspekten faktisch zum Erliegen gekommen.

In dieses Bild passt die erstaunliche Bitte, die der Präsident der Bundesärztekammer anlässlich der Eröffnung des diesjährigen Ärztetags an die Gesundheitsministerin richtete: „Bitte bezeichnen Sie Ärztekammern und KVen nicht als Ärztelobby.“ Der politische Beobachter fasst sich an den Kopf und beginnt zu verstehen, warum der Ärzteschaft allmählich sämtliche Felle davonschwimmen. Denn wer sich zu vornehm für einen wohlverstandenen politischen Lobbyismus ist, der darf sich über einen Gesetzentwurf von der Monstrosität eines „Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes“ nicht wundern.

Natürlich vertreten die Ärzte auch die Interessen der Patienten; aber dies muss sie nicht daran hindern, auch ihre eigenen Interessen zu artikulieren. Und wer anderes als die ärztlichen Körperschaften sind unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten überhaupt in der Lage, dies zu übernehmen? Die Ärzte sind außerhalb von KBV und BÄK heute viel zu zersplittert und dissonant, als dass sie eine Chance hätten, sich im politischen Meinungsbildungsprozess Gehör zu verschaffen. Und wenn es doch gelegentlich gelingt, wie derzeit dem Hausärzteverband, wird dies von entschlossenen Politikern geschickt genutzt, um den Spaltpilz tief in die Ärzteschaft zu treiben.

Über fast drei Jahrzehnte hatte der ärztliche Lobbyismus tadellos funktioniert, angeführt durch eine starke KBV und ein hervorragendes Netzwerk von politischen Kontakten. Noch 1988 geriet das „Gesundheitsreformgesetz“ des Norbert Blüm unter der Regie des damaligen KBV-Hauptgeschäftführers Eckhart Fiedler durch die Einführung der Gesundheitsuntersuchung eher zu einem Gewinn für die Kassenärzte.

Ab diesem Zeitpunkt ging es mit dem politischen Lobbyismus der Ärzte steil bergab. Insbesondere die KBV hat die seit dem Auftreten Horst Seehofers geänderten Rahmenbedingungen für Interessenvertretung komplett verschlafen. Die Zeiten erfolgreicher Geheimdiplomatie durch Einzelpersonen sind angesichts des Problemdrucks und des zunehmenden Rufs nach Transparenz und öffentlicher Diskussion vorbei.

Wenn heute etwas in ein Reformgesetz übernommen werden soll, bedarf dies einer sorgfältigen, teils langjährigen, medial begleiteten politischen Vorbereitung und einer beständigen, koordinierten und breit gefächerten Diskussion. Zudem ist eine permanente Präsenz in Ausschussarbeiten von Bundestag, Bundesrat und Fraktionen erforderlich.

Den Kassenärzten ist es zu wünschen, dass die KBV diesen notwendigen Turnaround noch schafft, bevor auch die letzten bewährten Strukturen unseres Gesundheitssystems von politischen Hasardeuren zerstört werden.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Die Ärzteschaft hat keine Lobby  – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 06/2003

Download des Original-Artikels