Die Folgen des Terrors

ARZT & WIRTSCHAFT (2001)
Die Folgen des Terrors

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Die Auswirkungen des Terroranschläge auf New York und Washington sind noch nicht absehbar. Sicher ist nur, dass sie die nächsten Jahre in vielerlei Hinsicht weltweit prägen werden. Auch für unser deutsches Gesundheitswesen lassen sich zwei unmittelbare Folgen voraussehen:

  1. Es wird zur Abkehr von Oberflächlichkeit und stärkeren Besinnung auf das Wesentliche kommen – unter Einschluss der eigenen Gesundheit. Gesundheit wird für den Einzelnen noch wichtiger. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird steigen, zumal sie in der GKV für das einzelne Kassenmitglied nach guter deutscher Tradition immer noch als „kostenlos“ wahrgenommen werden.
  2. Die GKV wird aufgrund der tiefgreifenden wirtschaftlichen Folgen und der mindestens ein Jahr währenden Rezession massive Einnahmeverluste erleiden, ihre finanziellen Spielräume werden minimal sein.

Beide Entwicklungen werden den Druck auf die gesetzliche Krankenversicherung massiv verstärken. Für das Wahljahr 2002 ist mit einem Defizit von mindestens drei Milliarden Euro zu rechnen. Die Beiträge werden auf deutlich über 14 Prozent steigen. Dennoch wird das Gesundheitswesen angesichts der dominierenden Themen Rezession, Arbeitslosigkeit und internationale Sicherheit im Wahlkampf keine Rolle spielen. Dies wiederum wird die Politik nach den Wahlen zu massiven Eingriffen in das Gesundheitswesen legitimieren. Diese sind nur in einer radikalen Neubestimmung der Gewichte von Solidarität und Eigenverantwortung zu suchen. Aktuell dominierende Fetische kafkaesker Prägung wie die Disease-Management-Programme werden in den gesundheitspolitischen Modellbaukasten zurückgelegt, um vielleicht in besseren Zeiten das interessierte Publikum wieder erheitern zu können.

So befremdlich es klingen mag: Erst die Folgen der Terroranschläge von New York und Washington werden die vier Jahre hilflosen rot-grünen Selbstbetrugs in der Gesundheitspolitik definitiv beenden und die Diskussion auf die entscheidenden Fragen zurückführen, auf die Horst Seehofer bereits 1997 mit den GKV-Neuordnungsgesetzen Antworten formuliert hatte. Alle Modelle, die im Rahmen der Gesundheitsreform 2003 diskutiert werden, werden um zwei Kernelemente kreisen: Beschränkung der Leistungen und Ausbau der Selbstbeteiligungen. Ob dies im Sinne einer „Stärkung der Eigenverantwortung“ mit Wahlmöglichkeiten der Versicherten verbunden wird, also mehr Leistungen für einen höheren Beitrag, ist dabei eher zweitrangig.

Das Totschlagargument von der „drohenden Zwei-Klassen- Medizin“ hat jedenfalls jegliche Wirkung verloren, da die unter Budgetbedingungen real existierende Mehr-Klassen-Medizin seit Jahren für jedermann erkennbar ist und nur noch von realitätsimmunen Politveteranen verleugnet wird. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird vielmehr künftig noch stärker als bisher auf den Zweiten Gesundheitsmarkt außerhalb der Kassenmedizin verlagert werden. Für den Kassenarzt bedeutet dies: Ein Ausbau der Bereiche IGeL, Kostenerstattung und Privatpatienten wird für das wirtschaftliche Überleben unverzichtbar sein.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Die Folgen des Terrors – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 10/2001

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