„Die GKV ist schon jetzt am Ende“

ARZT & WIRTSCHAFT (2001)
Dr. med. Lothar Krimmel

MedWell-Gründer
Dr. Lothar Krimmel

Warum die Budget-Rechtfertigungen zynisch sind, wohin „die Ideologen“ das System bringen und wie er mit seiner Firma MedWell einen privaten Gesundheitsmarkt erschließen will, erläutert der ehemalige stellvertretende Hauptgeschäftsführer der KBV, Dr. Lothar Krimmel, im Gespräch mit A&W-Redakteurin Dr. Sabine Glöser.

Herr Dr. Krimmel, ist das budgetierte GKV-System auf Dauer zu halten?
Die GKV ist doch schon jetzt am Ende, weil die Patienten merken, dass Budgetierung zu Rationierung führt. Gesundheit könnte in zwei Jahren erstmals Wahlkampfthema werden, wenn man den Ideologen bei der Gesetzgebung weiterhin freie Hand lässt.

Das Geld, argumentiert Rot-Grün, reiche, es müsse nur besser verteilt werden.
Durch diese ganzen Budget- Rechtfertigungen werden doch die Patienten in die Irre geführt. Einem Gesamtsystem abzufordern, sich selbst zu steuern, ist absurd. Ein unglaublicher Zynismus! Das ist etwa so, als würde im Bundeshaushalt die Arbeitslosenhilfe gestoppt, weil irgendwo im Verteidigungsbudget ein Panzer zuviel herumsteht.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in zehn Jahren keine Pflichtversicherung mehr haben!“

Wie muss das Gesundheitssystem gestaltet werden?
Es müsste liberalisiert werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in zehn Jahren keine Pflichtversicherung mehr haben, sondern stattdessen eine allgemeine Versicherungspflicht. Und es wird zunehmend weniger Unterschiede zwischen PKV und GKV geben.

Wäre das der Abschied von der Solidarität?
Nein. Gegenwärtig werden ohnehin 60 Millionen Menschen zur Solidarität gezwungen. Und ich halte es für selbstverständlich, sich künftig durch Steuern an der Grundversorgung sozial Schwacher zu beteiligen.

Gibt es die KVen dann noch?
Man wird immer einen Gesundheitsmanager brauchen, der den Arztsektor sozialverträglich regelt. Die KVen haben sich bewährt, der Politik die Arbeit abzunehmen. Die Gefahr für die KVen liegt weniger in der gesetzlichen als in der innerärztlichen Legitimation.

Die Ärzte stecken seit langem im Budgetdilemma. Strategie der KBV ist es, Preise zu stabilisieren und die Leistungsmenge zurückzufahren. Ihre Bewertung?
Diese Strategie liegt geradezu auf der Hand. Sie greift auf, was die Kassen den Ärzten seit Jahren vorwerfen, nämlich dass sie zu viele Leistungen erbringen. Leistungen zurückzufahren ist aber nur die eine Hälfte. Was passiert mit den Leistungen, die außerhalb der GKV nachgefragt werden? Die können nur in einem privatwirtschaftlichen System aufgefangen werden.

Und dieses System wollen Sie mit Ihrer Firma erschließen?
Ja, im Grunde ist die Strategie der MedWell-AG die notwendige Ergänzung zur KBV-Strategie.

Sie haben MedWell nach Ihrer aktiven KBV-Zeit gegründet. Was hielt Sie davon ab, sich mit Ihren Ruhestandsbezügen ein schönes Leben zu machen?
Ich war voller Ideen und suchte eine neue Herausforderung. Und ich hatte das Gefühl, dass man den privaten Gesundheitsmarkt entfalten kann.

„Im ungeregelten Markt besteht die Gefahr, dass Trittbrettfahrer auch Zweifelhaftes verkaufen!“

Wie wollen Sie das machen?
Erstens wollen wir mit unseren leistungsrechtlichen Spezialkenntnissen definieren, welche Leistungen zu einem solchen Markt gehören. Die MedWell- Liste umfasst inzwischen 220 Leistungen; andere Produkte, auch für Arzneimittel, folgen. Für diese Privatmedizin wollen wir eine Qualitätsgemeinschaft bilden, die den Kassenpatienten Angebote zu fairen Konditionen macht. Denn in einem völlig ungeregelten Markt besteht die Gefahr, dass Trittbrettfahrer auch Zweifelhaftes verkaufen wollen. Drittens wollen wir die privaten Krankenversicherer für unser Konzept gewinnen. Sie verfügen über die Vertriebskanäle, über die wir unsere Dienstleistungen transportieren können.

Welche Dienstleistungen bieten Sie den Ärzten denn an?
Erstens Informationen über die Entwicklung des privaten Gesundheitsmarktes. Zweitens betreiben wir ja auch Marketing für den Arzt: Er profitiert davon, dass wir die Qualitätsgemeinschaft nach außen darstellen. Drittens bieten wir konkrete Hilfen an, wenn es zum Beispiel bei privaten Leistungen oder Verordnungen Probleme mit Kassen oder KVen gibt. Und viertens profitieren unsere Partner-Ärzte von den privaten Zusatzversicherungen.

Welche Verpflichtungen muss ein „Partnerarzt“ eingehen?
Er muss sich zu einer fairen und vertrauenswürdigen Privatmedizin verpflichten. Eine Mindestfortbildung von 40 Stunden pro Jahr ist Pflicht. Außerdem sollte er einen Preis verlangen, der für einen GKV-Patienten erschwinglich ist.

Sie haben etwa 120 Ärzte unter Vertrag. Angepeilt sind 15.000 bis zum Jahr 2005 – ein ehrgeiziges Ziel!
Das sind nur 12 Prozent der Ärzte in Deutschland. Wir sind ein bundesweiter fachgruppenübergreifender Anbieter. Insofern halte ich das nicht für zu hoch gegriffen.

Wer hält eigentlich die Aktien der MedWell-AG und wer finanziert sie?
Die Aktienmehrheit halten die Gründerfamilien. Unser Start-up wird aus dem MedWell Beteiligungsfonds, der rechtlich von der AG unabhängig ist, finanziert. Wir wollen aber relativ schnell durch unsere Unternehmensergebnisse in schwarze Zahlen kommen.

Wie generiert die Firma Umsatz?
Die Dienstleistungsgebühr für Ärzte liegt bei drei Prozent ihres privatärztlichen Umsatzes bei Kassenpatienten. Die Mindestgebühr beträgt 100, die Höchstgebühr 300 Mark pro Quartal. Zweiter Umsatzsektor sind die Zusatztarife, die wir mit privaten Krankenversicherungen anbieten.

Die DKV bietet schon eine von Ihnen konzipierte Zusatzpolice für ambulante Medizin an.
Genau. Der Clou des Tarifs Optimed ist, dass wir genau definiert haben, ab welchem Alter und in welchen Zeitabständen welche sinnvollen Vorsorge- und Serviceleistungen in Anspruch genommen werden können und wie hoch der Erstattungsbetrag gegenüber dem Arzt ist. Damit werden IGeL-Angebote versicherbar.

Ihre nächsten Vorhaben?
Wir werden Kostenerstattungstarife für ärztliche Leistungen und Arzneimittel auflegen – die notwendige privatwirtschaftliche Antwort auf Budgetierung und Rationierung. Und wir planen, weitere Sektoren in Zusatzversicherungen zu erschließen, etwa die alternativen Behandlungsmethoden. Auf jeden Fall bleiben wir dem Konzept treu, den Markt über private Tarife zu erschließen. Das ist die einzig richtige Strategie für den künftigen europäischen Gesundheitsmarkt.

Interviewpartner
Dr. med. Lothar Krimmel, Dr. Sabine Glöser (A&W-Redakteurin)

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: „Die GKV ist schon jetzt am Ende“ – A&W-Interview. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 01/2001, S. 86-87

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