Die GOÄ ist im freien Fall

ARZT & WIRTSCHAFT (2004)
Die GOÄ ist im freien Fall

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Noch ist die GOÄ der letzte verbliebene Hoffnungsschimmer im grauen Vergütungsalltag der niedergelassenen Ärzte. Im Schnitt gibt es bei Privatpatienten für die gleiche Leistung dreimal mehr Honorar als bei Kassenpatienten. Doch die Einschläge und mit ihnen die Hauptkampfzone der Abwehrschlacht rücken immer näher:

  • Die Ärzte selbst bieten Kassenpatienten immer öfter privatärztliche Behandlungsangebote zum GOÄ- Einfachsatz oder sogar darunter an.
  • Die PKV und die staatlichen Beihilfestellen fordern vehement eine drastische Absenkung der GOÄ-Honorare, um nicht von den Kostensteigerungen erdrückt zu werden.
  • Und mit der Bürgerversicherung droht im schlimmsten Fall sogar die Abschaffung der PKV.

Die Einschläge der Abwehrschlacht rücken näher

Wer glaubt, trotz dieser unheilvollen Vorboten würde es mit den guten Deckungsbeiträgen der GOÄ schon irgendwie weiter gehen, irrt gewaltig. Schreibt man die aktuellen Entwicklungstendenzen in Politik und Ärzteschaft fort, liegt spätestens im Jahre 2010 die GOÄ auf EBM-Niveau. Die einzig erfolgreiche Strategie der Ärzteschaft gegen diese existenzbedrohende Entwicklung ist bekannt: Es ist die bewusste Abgrenzung der Privatmedizin von der budgetierten Kassenmedizin. Doch hiergegen wenden sich die Gutmenschen unter den Standesfunktionären, die für sich die bequemste aller berufsethischen Lösungen reklamieren: Bei Privatpatienten weiterhin dreifach abkassieren, aber versorgungspolitisch ein reines Gewissen behalten.

Weil zahlreiche Ärzte von dieser besonders scheinheiligen Form des Helfersyndroms betroffen sind, fühlen sich nur etwa ein Drittel aller Ärzte einem konsequenten Dienstleistungsansatz verpflichtet. Sie bieten ihren Privatpatienten einen spezifisch privatärztlichen Praxisservice sowie eine ausschließlich an der medizinischen Notwendigkeit ausgerichtete Behandlung an. Und diese Ärzte haben es endgültig satt, für die große Gruppe der pseudo-ethischen Absahner immer wieder die Kohlen aus dem Feuer zu holen, wenn es um die Verteidigung der GOÄ-Vergütungen gegen eine Angleichung an die EBM-Preise geht.

Denn wer trotz des zunehmenden Abdriftens der Kassenmedizin in die zwangsregulierte Billigversorgung die Unterschiede zur Privatmedizin negiert, begeht zweifachen Verrat an der Patientenversorgung: Er deckt die ärztlich inakzeptable Politik einer „GKV-Versorgung nach Kassenlage“ und betrügt außerdem die sich ihm anvertrauenden Patienten – die Kassenpatienten um die Optionen einer optimalen Versorgung und die Privatpatienten um die Gegenleistung für das erhebliche Aufgeld der GOÄ-Abrechnung.

Die Lösung kann nur in einer arztbezogenen Differenzierung der GÖÄ-Vergütungen liegen: Wer Wert darauf legt, Kassen- und Privatpatienten in allen relevanten Kriterien gleich zu behandeln, wird sich demnächst mit einer GOÄ-Vergütung auf EBM-Niveau abzufinden haben. Die GOÄ-Schwellenwerte müssen jenen Ärzten vorbehalten bleiben, die sich verpflichten, Privatpatienten tatsächlich alle Vorteile privatärztlicher Behandlung zu bieten. Nur so wird die PKV als Versorgungs- und die GOÄ als Vergütungsmodell überleben können.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Die GOÄ ist im freien Fall – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 08/2004

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