IGeL 2013 – Eine Bestandsaufnahme mit Dr. Lothar Krimmel

Operation Gesundheitswesen (2013)

Interview mit Dr. med. Lothar Krimmel zu Selbstzahlerangeboten

Berlin (opg) – Dr. Lothar Krimmel gilt als Erfinder der „Individuellen Gesundheitsleistungen“ (IGeL). Mitte der 1990er Jahre – damals war er Geschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung – ebnete er den Selbstzahlerangeboten den Weg in den freien Markt. Bis 2003 hat er als Vorstand der MedWell Gesundheits-AG nach eigener Aussage die Grundlagen des „Zweiten Gesundheitsmarktes“ in Politik und Praxis gefestigt. Sein IGeL-Gebührenverzeichnis MEGO gehört zu den Standardwerken in vielen Praxen. Im Gespräch mit der opg-Redaktion prophezeit er den Selbstzahlerangeboten eine ewige Zukunft und äußert Unverständnis für die Kritik von Kassenseite am zweiten Gesundheitsmarkt, an dem Krankenkassen gar nicht beteiligt sind.

Dr. med. Lothar Krimmel

Dr. med. Lothar Krimmel

opg: IGeL sind seit einiger Zeit immer wieder in den Schlagzeilen, zumeist verbunden mit Abzocke. Überziehen Ärzte beim „IGeLn“?

Krimmel: Ich halte die Kritik für reichlich übertrieben.

opg: Sie sagten 2006 in einem Interview: Der Selbstzahler-Markt wird weiter wachsen, er ist rechtlich fundiert, politisch unangreifbar und er verfügt über ein wachsendes Angebot und eine wachsende Nachfrage. Haben sich Ihre Erwartungen bestätigt?

Krimmel: Ja, absolut! Ich habe begleitend zur IGeL-Einführung 1998 eine Art Referentenkommentar verfasst und diesem das bekannte Zitat von Victor Hugo vorangestellt, das mich im Zusammenhang mit meinen IGeL-Ideen von Anfang an inspiriert hatte: „Nichts auf der Welt ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“ Und das hat sich letztlich auch bestätigt. IGeL sind – trotz aller Widerstände und völlig ohne eigene Lobby – zu einer selbsttragenden Bewegung geworden. Am Anfang war es wirklich schwierig. Ich bin 1998/1999 quer durch die Republik gereist und habe auf zahllosen KV-Veranstaltungen das IGeL-Konzept einem damals noch weitgehend verständnislosen ärztlichen Publikum präsentiert. Wegen der Einordnung der Glaukom-Vorsorge als Nicht-Kassenleistung wurde vom Berufsverband der Augenärzte seinerzeit sogar eine Klage angedroht. Doch irgendwann in den Jahren 2000/2001 wurde der berühmte „Tipping point“ erreicht und die IGeL wurden ein Selbstläufer, obwohl sich die KBV damals bereits aus der aktiven Begleitung zurückgezogen hatte. Ein wesentlicher Katalysator war seinerzeit auch die reichlich arztfeindliche Politik der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Sie ist vielleicht in gewisser Weise die unfreiwillige „Mutter der IGeL-Leistungen“.

opg: Haben sich IGeL-Angebote auch als GKV-fähig erwiesen und die Aufnahme in den Leistungskatalog geschafft?

Krimmel: Ja, das war durchaus auch von der KBV bezweckt. Es gibt zahlreiche positive Rückwirkungen auf den GKV-Leistungskatalog. Denken Sie nur an das vor einigen Jahren eingeführte Hautkrebs-Screening. Nur dadurch, dass wir die bis 1998 bei anamnestisch fehlendem Krankheitsverdacht von fast allen Ärzten kostenlos durchgeführte Untersuchung der Haut mit dem IGeL-Katalog – im Einklang mit den damaligen Bundesausschuss-Richtlinien – als Nicht-Kassenleistung klargestellt haben, konnten die Kassen bewegt werden, der Einführung eines Hautkrebs-Screenings und einer Zusatzvergütung zuzustimmen.

opg: IGeL sind von Anfang an ein kontroverses Thema gewesen. Im Grunde stehen sich zwei Positionen gegenüber: Verbraucherschützer und Kassen sehen IGeL bis auf Ausnahmen als Ärgernis, in der Ärzte zu Kaufleuten werden und das Vertrauen ihrer Patienten verspielen. Ärzte sehen IGeL als legitimes Angebot, um zunehmende Defizite des GKV-Leistungskatalogs auszugleichen und berechtigte wirtschaftliche Interessen wahrzunehmen. Sehen Sie angesichts dieser „Feindlinien“ Chancen für einen konstruktiven Dialog?

Krimmel: Ein Dialog in dem von Ihnen gemeinten Sinn ist schon deswegen nicht erforderlich, weil Gesundheitswünsche von Bürgern jenseits der Kassenmedizin die Krankenkassen eigentlich nichts angehen. Ein solcher Dialog könnte auch gar nicht erfolgreich sein, weil die Krankenkassen kaum belastbare Sachargumente vorbringen können, sondern ausschließlich aufgrund einer elementaren Verletzung ihres Anspruchs auf die Definition von Gesundheitsleistungen argumentieren. Sehen Sie, das von Ihnen genannte „Ärgernis“ besteht doch aus Kassensicht im Wesentlichen darin, dass mit der Etablierung des IGeL-Segments das Selbstverständnis der Krankenkassen massiv zurechtgestutzt worden ist. Diese Kränkung schmerzt die Kassen auch heute noch tief und verhindert jeden sinnvollen Dialog in der Sache. Übrigens hat genau dieses Problem die IGeL in ihrer heutigen Dimension überhaupt erst entstehen lassen. Ich habe 1997 für die KBV die Verhandlungen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen zur Abgrenzung des Leistungskatalogs geführt. Wir standen damals kurz davor, eine kleine Konsensliste unbestrittener Selbstzahlerleistungen zu verabschieden und sie den Krankenkassen und KVen zur internen Verwendung in Streitfällen zu geben. Das wäre ohne größeres Aufsehen über die Bühne gegangen. Bei der letzten gemeinsamen Sitzung ließen die Kassen den bereits verhandelten Kompromiss jedoch platzen und schalteten auf Fundamentalopposition um – in der Erwartung, dass die KBV einknicken würde. Das war jedoch Gott-sei-Dank nicht der Fall, und so wurde im März 1998 mit einem ausgerechnet von den Kassen provozierten, gigantischen politischen und medialen Getöse der erste IGeL-Katalog der KBV in die Öffentlichkeit getragen. Hierdurch wurde eine leistungsrechtliche Schockwelle ausgelöst, deren Auswirkungen wir noch heute spüren.

opg: Seit der Erfindung und Etablierung der IGeL ist viel Zeit vergangen: Gibt es Aspekte, die Sie heute anders beurteilen als damals?

Krimmel: Ja, ich habe seinerzeit die Tatsache unterschätzt, dass die IGeL zwar eine Unzahl von Gegnern, aber überhaupt keine eigene Lobby haben. Denn ausgerechnet die beiden Spitzenorganisationen der Ärzteschaft, KBV und Bundesärztekammer, hatten und haben kein Interesse an der Etablierung der IGeL-Leistungen. Dem KV-System ist es gleichgültig, weil IGeL ja gerade keine Kassenleistungen sind. Außerdem stören IGeL das Verhältnis zu den Krankenkassen, weshalb die Sympathie des KV-Systems für die IGeL-Leistungen sich in den letzten Jahren spürbar abgekühlt hat.

opg: … und die Bundesärztekammer?

Krimmel: Die tut sich ganz generell schwer mit dem IGeL-Bereich, weil hier die elementare Geschäftsgrundlage des Arzt-Patienten-Verhältnisses erkennbar wird, dass nämlich der Arzt – wie jeder andere Freiberufler auch – seinem Klienten bzw. Patienten eine Rechnung stellt, welche dieser nicht von einer Versicherung erstattet bekommt. So wenig Bedenken die Ärztekammern haben, dass im PKV-Bereich das maximal mögliche Honorar den Privatpatienten abverlangt wird, so sehr ziert man sich, ein System gutzuheißen, in welchem der Patient eine Gesundheitsleistung tatsächlich selbst bezahlt.

opg: Wo sehen Sie Sympathisanten?

Krimmel: Als scheinbare Unterstützer der IGeL-Idee bleiben daher nur die zahlreichen Trittbrettfahrer seitens der Gesundheitswirtschaft, die jedoch nicht in der Lage sind, auf die gezielten Angriffe von Krankenkassen und Politikern eine intelligente strategische Antwort zu organisieren. Insofern ist es wirklich ein Glücksfall, dass die rechtlichen Grundlagen der IGeL-Leistungen so unangreifbar sind, dass diese Idee auch ohne eigene Lobby überleben kann. Vielleicht in diesem Zusammenhang noch ein Wort zur MEGO (MedWell-Gebührenordnung, Anm. d. Red.): Ich habe die MEGO als eine Art „IGeL-Gebührenordnung“ im Jahr 2000 auf den Weg gebracht, um das Potenzial, aber auch die Grenzen dieses Marktsegments aufzuzeigen. Ich habe mich jedoch bereits 2005 redaktionell und wirtschaftlich vollständig aus sämtlichen IGeL-Aktivitäten zurückgezogen. Daher habe ich heute einen interessenfreien, ausschließlich auf meinen persönlichen Überzeugungen gründenden Blick auf dieses Thema.

opg: Ein Wildwuchs beim Thema „IGeLn“ ist aber doch nicht zu leugnen. Die KBV hat gemeinsam mit Bundesärztekammer und anderen Ärzteorganisationen einen Ratgeber für Ärzte veröffentlicht, in dem Regeln vorgegeben sind. IGeL dürften dem Patienten nicht aufgedrängt, nicht vom Praxispersonal angeboten werden, schriftlicher Vertrag usw. Sind korrekte „Spielregeln“ ein Weg, dem ewigen Ärgernis IGeL beizukommen?

Krimmel: Ich halte das Gerede vom „Wildwuchs“ ebenso wie Ihre Wertung als „ewiges Ärgernis“ für überzogen. In gleicher Weise könnte ich Ihnen Beispiele von „Wildwuchs“ und „ewigen Ärgernissen“ in der gesetzlichen Krankenversicherung präsentieren. Aber soll man die GKV deswegen diffamieren oder gar abschaffen oder die Bürger vor der Wahl einer Krankenkasse warnen?

Die Spielregeln im IGeL-Bereich ergeben sich unmittelbar aus der Ärztlichen Berufsordnung, der GOÄ und dem Bundesmantelvertrag. Der von Ihnen genannte Ratgeber schafft deswegen kein neues Recht, sondern konkretisiert lediglich die in diesen drei Normwerken versammelten Vorschriften im Hinblick auf die ärztliche Tätigkeit im IGeL-Segment.

opg: Weitere Vorschriften sind demnach unnötig?

Krimmel: Ja. Zumal sich der IGeL-Bereich ja im Hinblick auf die immer wieder zitierte „kaufmännische Intention“ des Arztes überhaupt nicht vom übrigen privatärztlichen Sektor unterscheidet. Wenn der Arzt etwa bei einem Privatpatienten eine Laborleistung in seiner Laborgemeinschaft erbringt und bei einem Kostenaufwand von 25 Cent gegenüber dem Patienten 2,68 Euro abrechnet, so ist dies eine recht beachtliche Vergütung, die dem Arzt durchaus die wirtschaftlichen Vorteile dieser privatärztlichen Indikationsstellung veranschaulicht. Wurde deswegen jemals gefordert, ein Privatpatient solle wieder nach Hause gehen und erst einmal eine Nacht darüber schlafen, bevor er eine solche Laborleistung in Anspruch nimmt?

Bei IGeL-Leistungen ist der Wunsch des Patienten nach direkter Ausführung ja im Regelfall noch höher. Denn entgegen der immer wieder verbreiteten Behauptung geht in der Mehrzahl der Fälle die Intention zur Inanspruchnahme vom Patienten aus, und nicht vom Arzt oder vom Praxispersonal. Dies betrifft natürlich vor allem die zahlreichen Leistungen aus den Bereichen der Ärztlichen Bescheinigungen, der Alternativmedizin und der Kosmetischen Medizin, aber durchaus auch der Vorsorgemedizin. Daher sind etwa Forderungen nach einer gesetzlichen Fixierung von „Bedenkzeiten“ bei IGeL-Leistungen Ausdruck eines überkommenen paternalistischen Heilverständnisses und in hohem Maße patientenfeindlich. Genau das passiert, wenn Kassen und Politiker ihrer eigenen Propaganda gegen IGeL-Leistungen auf den Leim gehen.

opg: Was halten Sie vom IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes? Erste Bewertungen des IGeL-Leistungsangebotes gehen in die Richtung „unklar“ oder „tendenziell negativ“. Sinnvolles Angebot zur besseren Orientierung auf dem IGeL-Markt oder eher Propaganda der Krankenkassen?

Krimmel: Vielleicht eines vorweg: der MDS ist das Sprachrohr der Krankenkassen. Eine vorurteilsfreie Bewertung von Leistungen, die eben gerade keine Kassenleistungen sind und insofern am Selbstverständnis der Krankenkassen kratzen, können Sie dort nicht erwarten. Das ist etwa so, als würde der Zentralrat der Muslime eine Bewertung zu den Heiligen der Katholischen Kirche herausgeben. Diese Einschätzung bezieht sich auf alle Teile des Monitor-Konstrukts: Auswahl, Bewertungskriterien und Empfehlungsraster.

opg: Können Sie Beispiele nennen?

Krimmel: In der aktuellen MEGO werden 386 IGeL-Leistungen aufgeführt, der IGeL-Monitor umfasst derzeit 27 willkürlich ausgewählte, wobei einige davon gar nicht in der MEGO erwähnt werden. Warum nicht? Nehmen Sie etwa die Bachblütentherapie. Natürlich handelt es sich auch hier um eine IGeL-Leistung, aber bei diesem Behandlungsverfahren treffen sich gleichgesinnte Ärzte, Heilpraktiker und Patienten sozusagen in einem ‚geschlossenen Benutzerkreis’. Das hat eine quasi-religiöse Dimension. Da drängt kein Arzt oder Heilpraktiker einem Patienten irgendetwas auf. Nein, die Bachblütenanhänger unter den Patienten suchen sich vielmehr gezielt die entsprechenden Behandler aus. Was – und vor allem warum – soll ich da untersuchen und bewerten? Genauso könnte ich Voodoo-Behandlungen einem Bewertungsversuch unterziehen.

opg: Das ist nachvollziehbar, aber nicht alle Angebote passen in dieses Ideologie- Raster. Haben Sie ein anderes Beispiel?

Krimmel: Ja, kommen wir zur am Heftigsten kontrovers diskutierten IGeL-Leistung überhaupt, dem PSA-Test zur Früherkennung des Prostatakarzinoms. Dieser Test zeigt gerade wegen seiner Umstrittenheit den eigentlichen Kern der IGeL-Idee, nämlich die freie Entscheidung des informierten Patienten. Alle wissenschaftlichen Studien zum PSA-Test verbeißen sich an einem Thema, das für eine Individuelle Gesundheitsleistung völlig unerheblich ist, nämlich ob sich der Test als Massen- Screening für alle Männer einer bestimmten Altersgruppe eignet. Was für alle Männer einer Altersgruppe als Empfehlung ausgesprochen wird, ist für den Mann, der vielleicht seinen Nachbarn elend am Prostatakrebs hat zugrunde gehen sehen, völlig irrelevant. Den erreichen Sie nicht mit Endpunktstudien oder den Numbers-needed- to-screen. Der will ganz einfach jetzt für sich selbst wissen, ob eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, einen Prostatakrebs zu haben.

opg: … und nicht warten, bis über PSA einheitlich und gemeinsam entschieden ist …

Krimmel: Der PSA-Test offenbart insofern auch den Kern-Konflikt zwischen IGeL-Befürwortern und IGeL-Gegnern. Erst durch den PSA-Test als IGeL-Leistung wird dem informierten Patienten nämlich die Möglichkeit gegeben, zwischen dem Recht auf Wissen und dem Recht auf Nichtwissen zu wählen. Dies ist ein hochwertiges Freiheitsrecht, das in der ausschließlich auf Massenscreenings ausgelegten gesetzlichen Krebsfrüherkennung nicht vorkommt. Die Krankenkassen und manche nassforsche Politiker wollen – auch mit dem IGeL-Monitor – dem Patienten dieses elementare Recht nehmen. Sie sagen in altbewährter patriarchalischer Manier: wir entscheiden, was gut für dich ist! Ein Test, der nicht als Massenscreening taugt, den sollst du auch als Individuum mit individuellem Informationsbedürfnis nicht in Anspruch nehmen dürfen. Und wenn du es doch tun willst, dann behindern wir deinen Arzt oder wir behindern dich selbst, indem wir dir eine obligatorische Bedenkzeit aufbrummen.

Ein solcher Ansatz ist für eine freiheitliche Gesellschaft im 21. Jahrhundert ein absolutes Unding. Und wer einen solchen Ansatz auch noch mit Verbraucherschutz oder Patientenrechten begründet, der vergreift sich in unerträglicher Weise an eben diesen Werten. Und ganz nebenbei: Als Facharzt für Allgemeinmedizin kenne ich alle aktuellen Studien zum Thema und ich kenne natürlich auch meinen aktuellen PSA-Wert. Ich weiß, dass er derzeit völlig in Ordnung ist, und dies gibt mir ein positives Gefühl. Ein positives Lebensgefühl ist ja übrigens auch das Ziel der meisten IGeL-Leistungen. Natürlich weiß ich auch, dass es ungemütlicher wird, wenn das Testergebnis sich verschlechtert. Aber dies nehme ich in Kauf und bin bereit, mich der dann eintretenden Situation zu stellen.

opg: Die Bewertung des MDS dürfte für gut informierte Patienten kaum relevant sein, oder?

Krimmel: Die im IGeL-Monitor abgegebenen Bewertungen lauten „unklar“ oder „tendenziell negativ“ und haben – wie beim PSA-Test – stets die Idee einer generellen Anwendung etwa im Sinne eines Massenscreenings im Hinterkopf und berücksichtigen eben gerade nicht das für IGeL-Leistungen konstitutive individuelle Informationsbedürfnis des einzelnen Bürgers. Ferner fällt auf, dass sämtliche absolut empfehlenswerten Leistungen wie etwa der Sport-Check vor Beginn eines Ausdauertrainings oder dringend benötigte Wunschleistungen wie das tauchmedizinische Attest oder die Entfernung einer ungeliebten Tätowierung zwar beschrieben werden, aber schlichtweg keine Bewertungen erhalten! In der Gesamtschau dominieren hierdurch Bewertungen wie „unklar“ oder „tendenziell negativ“, während man bei den zahlreichen empfehlenswerten oder unbedenklichen Wunschleistungen mit komplizierten Umschreibungen versucht, ein positives Urteil zu vermeiden. Das ist im Ergebnis auf eine Täuschung der Verbraucher angelegt, wodurch sich der so genannte IGeL-Monitor jenseits einer serösen wissenschaftlichen Vorgehensweise begibt und sich in der Tat als Propaganda-Instrument der Kassen-Lobby disqualifiziert.

opg: Wie sehen Sie die Zukunft der IGeL?

Krimmel: IGeL werden ewig leben. Oder jedenfalls solange, wie Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat bleibt. Ich habe immer auf das sehr solide rechtliche Fundament des IGeL-Markts hingewiesen: denn hier treffen zwei der wichtigsten Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes aufeinander, nämlich das Grundrecht des Bürgers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nach Artikel 2 und das Grundrecht des Arztes auf freie Berufsausübung nach Artikel 12. Vertreter eines paternalistischen Medizinverständnisses auf Seiten der Krankenkassen müssen sich genauso warm anziehen wie einige forsche Aktivisten auf Seiten der Politik, wenn sie in diesem Bereich mit gesetzlichen Beschränkungen gegen die berechtigten Anliegen von Bürgern und Ärzten intervenieren wollen. Die bisherige Strategie dieser Leute, anhand absurder Einzelbeispiele einen angeblichen „Wildwuchs“ zu konstruieren, um diese Freiheitsrechte sturmreif schießen zu können, wird letztlich an eben dieser freiheitlichen Rechtsordnung scheitern.

opg: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person

Dr. med. Lothar Krimmel, Jahrgang 1957, Facharzt für Allgemeinmedizin

  • 1986   bis   1999   Geschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV),
  • 1999 bis 2003 Vorstand der von ihm gegründeten MedWell Gesundheits-AG,
  • ab 2004 Geschäftsführer beim Labordienstleister Bioscientia in Ingelheim,
  • seit 2011 im Ruhestand.

Interviewpartner:
Dr. med. Lothar Krimmel

Erstveröffentlichung:
Operation Gesundheitswesen (OPG), Jg. 11, Ausgabe 01, 09. Januar 2013