IGeL setzen sich durch !

IGeL plus (2007)

Dr. Lothar Krimmel, Geschäftsführer des Labordienstleisters Bioscientia, gilt als einer der Erfinder des IGeL-Segments in Deutschland. Für ihn steht fest, warum sich IGeL in den Praxen mehr und mehr durchsetzen: „Ein positives Lebensgefühl ist den meisten Menschen Geld wert.“

Dr. med. Lothar Krimmel : IGeL setzen sich durch

Dr. med. Lothar Krimmel : IGeL sind das letzte Rückzugsgebiet für Ärzte und Patienten.

IGeL beschäftigen ihn schon seit vielen Jahren: Dr. Lothar Krimmel hat das Thema in den 90er Jahren auf politischer Ebene ins Rollen gebracht. Sein IGeL-Gebührenverzeichnis, die MEGO, steht heute als Standardwerk in vielen IGeL-Praxen. Sabine Schiner sprach mit dem IGeL-Fachmann.

IGeL plus: Herr Dr. Krimmel, Sie waren fast 14 Jahre lang bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung beschäftigt. Wann hatten Sie die Idee für das IGeL-Konzept?
Dr. Lothar Krimmel: Das war Mitte der 90er Jahre. Ich hatte die frustrierenden Verhandlungen mit den Spitzenverbänden der GRV über die Einführung neuer Leistungen hautnah erlebt. Ich suchte nach einem Konzept, das die strategische Position der Vertragsärzte verbessern sollte. Alle heutigen IGeL-Renner wie die Glaukomvorsorge oder die Hautkrebs-Vorsorge waren damals strittig.

IGeL plus: Was bedeutete dies für die Kollegen in den Praxen?
Krimmel: Es gab viele Ärzte, die diese Leistungen trotzdem über die Chipkarte abrechneten. Da sie sich verpflichtet fühlten, den Kassenpatienten sinnvolle Vorsorgeleistungen anzubieten, taten sie dies auch dann, wenn diese Angebote noch gar nicht in den GKV-Katalog aufgenommen waren. Die Kassen hatten aufgrund der budgetierten Gesamtvergütung keine Mehrausgaben. Die Leidtragenden waren die Ärzte, die einen Verfall der EBM-Punktwerte hinnehmen mußten.

IGeL plus: Wie kamen Sie eigentlich auf den Namen IGeL?
Krimmel: Das war ursprünglich nur die von mir gewählte Abkürzung für das KBV-Projekt. Daß der Begriff sich so durchsetzen würde, war nicht vorhersehbar. Die Kombination der drei positiv besetzten Begriffe Individualität, Gesundheit und Leistung sollte vom politisch-strategischen Ansatz ablenken, das Spiel der Kassen mit der Selbstausbeutung der Ärzte zu beenden. Insofern war IGeL damals in gewisser Weise ein präventiver Kampfbegriff.

IGeL plus: Haben die Kassen heute das IGeL-Segment akzeptiert?
Krimmel: Im Grunde ja, denn die Krankenkassen mußten anerkennen, daß es viele unumstrittene IGeL-Angebote gibt, auf die ihre Versicherten beim Arzt einfach nicht mehr verzichten wollen. Beispiele sind etwa die reise- und die sportmedizinische Vorsorge. Deswegen ist heute die IGeL-Beratung der Kassen schon wesentlich differenzierter.

IGeL plus: Gibt es in dem Bereich also gar kein Konfliktpotential mehr?
Krimmel: Doch, der Grundkonflikt ist erhalten geblieben, daß nämlich der IGeL-Begriff den zuvor umfassenden Versorgungsanspruch der Krankenkassen definitiv beendet hat. Diese Erkenntnis schmerzt die Kassen auch heute noch.

IGeL plus: Glauben Sie, daß der Selbstzahler-Markt Zukunft hat? Welche Folgen könnte die Gesundheitsreform für das Selbstzahler-Segment haben?
Krimmel: Dieser Markt wird weiter wachsen. Er ist rechtlich fundiert, politisch unangreifbar und er verfügt über ein wachsendes Angebot und eine wachsende Nachfrage. Im IGeL-Segment treffen sich das in Artikel 2 des Grundgesetzes verankerte Recht der Bürger auf gesundheitliche Selbstbestimmung und das Grundrecht der Ärzte auf freie Berufsausübung nach Artikel 12. Damit ist das IGeL-Segment das letzte Rückzugsgebiet für Patienten und Ärzte, in dem sie noch frei von staatlicher oder korporatistischer Bevormundung entscheiden können. Daß der Markt weiter wachsen wird, dafür wird auch die dauerhaft angespannte Finanzlage der GKV sorgen. Daher werden auch alle künftigen Gesundheitsreformen den Charakter von IGeL-Förderprogrammen annehmen.

IGeL plus: Was müssen Ärzte tun, die IGeL anbieten wollen? Brauchen sie mehr Selbstbewußtsein als ihre Kollegen?
Krimmel: Wer als Arzt über ein entsprechendes Selbstbewußtsein verfügt, setzt es ohnehin ein. Und diejenigen Kollegen, die dieses Selbstbewußtsein nicht haben, können es wohl auch nicht lernen. Ich glaube, daß Ärzte, die IGeL erfolgreich einsetzen, auch in anderen Berufen erfolgreich wären, in denen es darum geht, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen, hinter denen sie stehen.

IGeL plus: Sind Sie selbst ein erfolgreicher Verkäufer?
Krimmel: Nein, eher nicht. Aber unter meinen Kollegen kenne ich viele gute Verkäufer. In der Ärzteschaft schätze ich deren Anteil auf etwa zehn Prozent.

IGeL plus: Genau diese Verkaufs-Mentalität ist es, die von vielen IGeL-Kritikern angeprangert wird.
Krimmel: Vor allem die Kritiker aus der Ärzteschaft übersehen dabei jedoch, daß die Ärzte sich über alle geschichtliche Epochen hinweg immer mit dem Verkauf ihrer Leistungen beschäftigen mußten – bis auf die einmalige Epoche der Nachkriegszeit, in der eine Rundum-Sorglos-Mentalität im Sachleistungssystem Patienten und Ärzte gleichermaßen korrumpiert hat. Heute sitzen wir ratlos vor den finanziellen und politischen Scherben dieser unseligen Entwicklung; und gerade die IGeL-Idee weist uns doch einen Ausweg, weil hier die Selbstverantwortung der Patienten im Mittelpunkt steht.

IGeL plus: Damit Patienten sicher sein können, daß allein medizinische Gründe für eine Behandlung entscheidend sind, will die Bundesärztekammer auf dem Ärztetag in Magdeburg einen IGeL-Kodex vorstellen. Was halten Sie davon?
Krimmel: Der IGeL-Markt würde auch ohne einen solchen Kodex hervorragend funktionieren. Die bestehenden berufsrechtlichen Regelungen, die ja auch für diesen Markt gelten, sind völlig ausreichend. Andererseits habe ich keine grundsätzlichen Einwände, wenn die Bundesärztekammer meint, mit spezifischen Regelungen den Schutz der IGeL-Kunden noch verbessern zu müssen. Ich hoffe nur, daß es keine unsinnigen oder unpraktikablen Regelungen geben wird, daß nicht der Arzt zum Beispiel, bevor er eine gewünschte reisemedizinische Beratung durchführt, den Patienten zunächst nach Hause schicken muß, damit der sich in Ruhe überlegen kann, ob er das auch wirklich will. Damit würde man das IGeL-Segment im Vergleich zu den anderen ärztlichen Leistungsangeboten, bei denen der Arzt ja auch wirtschaftlich profitiert, völlig unangemessen stigmatisieren.

IGeL plus: Mit welchen Argumenten würden Sie IGeL-Kritiker überzeugen?
Krimmel: IGeL-Kritiker sollten vor allem zur Kenntnis nehmen, daß mit der entsprechenden ärztlichen Leistung meist auch ein positives Lebensgefühl vermittelt wird. Dieser Aspekt kommt bei der Reduzierung von Medizin auf die Kriterien der Evidence-Based-Medicine regelmäßig zu kurz. Nehmen Sie das Beispiel des Vorsorge-Checks: Jemand fühlt sich gesund, doch er hat ein ungutes Gefühl – vielleicht auch nur, weil ein Arbeitskollege ernstlich erkrankt ist. Also geht er zu seinem Arzt zum umfassenden Gesundheits-Check. Es wäre absurd, diesem Menschen den Gesundheits-Check mit Verweis auf die fehlende rationale Grundlage seiner Krankheitsangst ausreden zu wollen. Denn die Untersuchung wird voraussichtlich bestätigen, daß keine ernstliche Erkrankung vorliegt. Und von dem positiven Lebensgefühl, das dieses Ergebnis auslöst, profitieren viele IGeL-Kunden ein ganzes Jahr lang.

Zur Person: Dr. Lothar Krimmel

Privates:    Geboren 1957    in Würzburg, zwei erwachsene Kinder.

Beruf:    1986 bis 1999    Mitarbeiter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin, zuletzt tätig als Vize-Hauptgeschäftsführer. 1999 Gründung der MedWell Gesundheits-AG, bis 2003 Vorstand, seit 2003 Geschäftsführer beim Labordienstleister Biosdentia in Ingelheim.

Stationen:    1975 bis 1981    Studium der Humanmedizin in Köln, 1984 Promotion, 1986 Facharzt für Allgemeinmedizin.

Hobby:    Musik (Klavier,    Gitarre) und Sport (Joggen, Skifahren).

Interviewpartner
Dr. med. Lothar Krimmel; Sabine Schiner (IGeL plus)

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: IGeL setzen sich durch – Interview mit Sabine Schiner. In: IGeL plus – Individuelle Gesundheitsleistungen (Springer Medizin, Heidelberg), März 2007, S. 50ff.

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