Keine Solidarität mit Junkies

ARZT & WIRTSCHAFT (2003)
Keine Solidarität mit Junkies

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Joschka Fischer persönlich hat für die Grünen die Büchse der Pandora geöffnet: Vor der nächsten Bundestagswahl soll der populistische Begriff der Bürgerversicherung die „Volksgemeinschaft“ auf das Ende der privaten Krankenversicherung einschwören. Trotz der Unverantwortlichkeit dieses Vorgehens gilt: Wer einen solchen Begriff aus der Tasche zieht, hat den Pyrrhus-Sieg schon hinter sich. Die Bürgerversicherung wird kommen, da sie den Hunger der Masse nach Gleichschaltung bedient.

Solidarität erfordert auch Eigenverantwortung

Aber wer einen grob vereinfachenden Solidaritätsbegriff zum obersten Prinzip macht, wird sich ab sofort mit Pandoras Plagen herumschlagen müssen. Denn Solidarität macht natürlich nicht halt auf der „horizontalen Ebene“ der unterschiedlichen Einkommen. Im Gesundheitswesen hat Solidarität auch immer eine „vertikale Ebene“ in Gestalt der Eigenverantwortung, die sich keineswegs nur auf die unterschiedlichen Formen der Selbstbeteiligung beschränkt.

Solidarisch ist nur, wer mit seiner Gesundheit verantwortungsvoll umgeht und die Volksgemeinschaft nicht durch das Eingehen unverantwortlicher gesundheitlicher Risiken schädigt. Deswegen muss und wird es für die künftige Bürgerversicherung einen klaren Grundsatz geben: Wer mit seiner Gesundheit unsolidarisch umgeht, hat keinen Anspruch auf Leistungen der Solidarversicherung! Dies gilt für Raucher und Raser ebenso wie für unverantwortliches Sexualverhalten. Wenn Joschka Fischer vor dieser Konsequenz seines Solidaritätsbegriffs zurückschrecken sollte, darf er gerne die Bürger fragen, ob sie auch für die Behandlung von Syphilis oder Säuferlebern in Sippenhaft genommen werden wollen. Die Organisation der vertikalen Solidarität in einer Bürgerversicherung ist heute problemlos möglich: Für alle abgrenzbaren Risiken, zum Beispiel Unfälle, wird eine Pflicht zur privaten Absicherung eingeführt. Dort werden Reiter oder Drachenflieger Gefahrenzuschläge zu entrichten haben, wenn sie nach einem entsprechenden Unfall Leistungen dieser Versicherung in Anspruch nehmen wollen.

Demgegenüber müssen diejenigen Risiken, die aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten nicht sinnvoll aus einer Einheitsversicherung ausgegrenzt werden können, über Zu- oder Abschläge zum Beitrag organisiert werden. Wer also künftig einen Body-Mass-Index im Idealbereich oder mittels CDT-Test maßvollen Umgang mit Alkohol nachweist, kann einen Beitragsbonus beanspruchen. Wer einen solchen Nachweis nicht führen will oder nicht führen kann, zahlt eben den höheren Regelbeitrag. Die Ärzteschaft tut gut daran, über den Schatten ihres gesundheitspolitischen Helfersyndroms zu springen und das Einfordern der „vertikalen Solidarität“ zu unterstützen. Denn nur ein Präventionsmodell, das am Portemonnaie als dem wichtigsten Organ des Versicherten ansetzt, kann dauerhaft erfolgreich sein.

Und auch nur so – wenn überhaupt – wird sich noch verhindern lassen, dass der finanzielle Zusammenbruch des Gesundheitssystems wieder nur über eine noch stärkere Ausbeutung der ärztlichen Arbeitskraft aufgehalten wird.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Keine Solidarität mit Junkies  – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 11/2003

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