Privatmedizin

Nach der von Dr. Krimmel in die gesundheitspolitische Debatte eingeführten Definition gliedert sich der Zweite Gesundheitsmarkt in die Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) einerseits und die Privatbehandlung im Krankheitsfall andererseits. Dieser letztgenannte Bereich repräsentiert die eigentliche „Privatmedizin“, auch wenn es sich rein formal auch bei den IGeL-Leistungen um privatmedizinische Leistungen handelt.

Privatbehandlung im Krankheitsfall, also „Privatmedizin“ im engeren Sinne, kann in Deutschland folgenden beiden Patientengruppen gewährt werden: zum einen den Privatpatienten im engeren Sinne, die über eine private Vollversicherung (ggf. ergänzt durch Beihilfeanspruch) verfügen, und zum anderen denjenigen GKV-Versicherten, die explizit eine Privatbehandlung gewählt haben, unabhängig davon, ob sie deren Kosten vollständig selbst tragen, über eine private Zusatzversicherung verfügen oder von ihrer gesetzlichen Krankenkasse im Kostenerstattungverfahren eine Erstattung erhalten.

Der entscheidende Unterschied zwischen vertragsärztlicher Behandlung (Kassenmedizin) einerseits und privatmedizinischer Behandlung (Privatmedizin) andererseits ist das in der vertragsärztlichen Versorgung allgegenwärtige Wirtschaftlichkeitsgebot, das es so in der privatmedizinischen Behandlung nicht gibt. In der Kassenmedizin wird daher das Primat der medizinischen Notwendigkeit auf vielfältige Weise vom gleichberechtigten Wirtschaftlichkeitsgebot eingeschränkt.

Dieses Wirtschaftlichkeitsgebot besagt im Kern, dass den GKV-Versicherten nur diejenigen medizinisch notwendigen Leistungen gewährt werden dürfen, die gleichzeitig auch vergleichsweise kostengünstig sind. Daher ist die beliebte politische Formel, die Kassen bezahlten alles medizinisch Notwendige, eindeutig falsch und auf eine Täuschung der Verbraucher angelegt, da sie die erheblichen Einschränkungen durch das Wirtschaftlichkeitsgebot unterschlägt.

Demgegenüber gilt in der Privatmedizin das Primat der medizinischen Notwendigkeit ohne Einschränkung. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Behandlungsablauf. So hat der Privatpatient gegenüber dem Kassenpatienten u.a. folgende Rechte und Vorteile:

  • Zugang zu allen Ärzten (also z.B. auch Chefärzten) und nicht nur zu Kassenärzten,
  • Zugang zur Privatsprechstunde und damit in der Regel schnellere Terminvergabe sowie geringere Wartezeit in der Praxis,
  • über das Maß des Notwendigen hinausgehende Dauer der ärztlichen Beratung mit besonders ausführlichen Erläuterungen zu Krankheitsbild und Behandlungsoptionen,
  • Definition individuell optimierter Therapieziele ohne Budgetgrenzen und kollektive Nutzen-Überlegungen,
  • Berücksichtigung individueller Wünsche bei Behandlungsumfang und Behandlungsverfahren,
  • Angebot modernster Behandlungsverfahrens lange vor Einführung in die Kassenmedizin,
  • Berücksichtigung individueller Komfortwünsche (z.B. kosmetische Wundversorgung).

Diese unbestreitbaren Vorteile der Privatmedizin werden in der politischen Debatte gelegentlich als „Zwei-Klassen-Medizin“ gebrandmarkt, die durch eine „Bürgerversicherung“, also einer zwangsweisen Einbeziehung aller Bürger in eine Einheitsversicherung, abzuschaffen sei. Diese Argumentation übersieht, dass die beschriebenen Abgrenzungen der Privatmedizin zur Kassenmedizin unabhängig von der Existenz einer privaten Krankenversicherung bestehen. Denn das Recht auf Wahrnehmung einer Privatbehandlung mit Inanspruchnahme der genannten Vorzüge ergibt sich unmittelbar aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 des Grundgesetzes. Und es gehört zur allgemeinen Lebenserfahrung, dass es zahlreiche Bürger gibt, die eine optimale Gesundheitsversorgung und Krankenbehandlung gegenüber anderen Gütern priorisieren und auch bereit sind, die hierfür erforderlichen finanziellen Mittel zu investieren.

Erforderlich ist daher ein politisches Umdenken in die gegensätzliche Richtung. Die Optionen einer privatmedizinischen Behandlung dürfen nicht etwa eingeschränkt werden, sondern sie müssen im Gegenteil in dem Sinne erweitert werden, dass allen Kassenpatienten der Zugang zur Privatbehandlung im Kostenerstattungsverfahren ermöglicht wird. Denn nur wenn diese Option allen Versicherten zur Verfügung steht, ist die Zwei-Klassen-Medizin tatsächlich überwunden.

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