Absurde Diskussion um Wartezeiten

Ärzte Zeitung (2014)

In einem Leserbrief vom 01.04.2014 nimmt Dr. Krimmel zu einem Artikel der „Ärzte-Zeitung“ vom 31.03.2014 Stellung.

Absurde Diskussion um Wartezeiten

Die Diskussion um Wartezeiten blendet die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der Kassen- und der Privatbehandlung komplett aus, und es ist sehr bedauerlich, dass die ärztlichen Körperschaften wenig tun, um zur Klarstellung beitzutragen. Natürlich darf es auch im GKV-System keine unzumutbaren oder gar gesundheitsgefährdenden Wartezeiten geben; aber dass der Privatpatient tendenziell weniger lange auf einen Termin wartet, reflektiert lediglich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der privatrechtlichen Behandlung einerseits und der sozialrechtlichen andererseits.
Bei der Privatbehandlung ist die Terminvereinbarung unmittelbarer Gegenstand des bürgerlich-rechtlichen Behandlungsvertrages. D.h. Arzt und Patient können vereinbaren, dass der Behandlungsvertrag nur zustande kommt, wenn die Konsultation bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt, ggf. sogar sofort und außerhalb der Sprechstundenzeiten. Derartig weit reichende Freiheitsrechte sind der kollektivvertraglich organisierten vertragsärztlichen Versorgung wesensfremd. Dort gilt lediglich die Forderung des § 17 Abs. 1a Bundesmantelvertrag, dass der Vertragsarzt mindestens 20 Stunden pro Woche Sprechstunden für Kassenpatienten anzubieten hat. Innerhalb dieses Zeitrahmens kann er natürlich offenbar dringlichere Anliegen zeitlich priorisieren; eine Verpflichtung zur Überschreitung dieser Mindestpräsenz oder gar ein Anspruch des Kassenpatienten auf einen bestimmten Behandlungstermin besteht jedoch nicht.

Sprechstundenhilfe muss Unterschiede machen

Herr Lanz vom GKV-Spitzenverband irrt total, wenn er eine unterschiedliche Praxis der Terminvergabe durch die Sprechstundenhilfe kritisiert. Um es auf den Punkt zu bringen: die Sprechstundenhilfe muss aus rechtlichen Gründen sogar zwingend differenzieren. Denn bereits für die Terminvergabe gelten die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, also das BGB für den Selbstzahler und das SGB V für den Kassenpatienten. Beim Selbstzahler ist bereits die Terminvergabe Bestandteil des zivilrechtlichen Behandlungsvertrages, beim Kassenpatienten gilt das Sozialrecht und damit der Bundesmantelvertrag. Darüber hinaus bieten viele Ärzte in absolut zulässiger Wahrnehmung ihrer unternehmerischen Freiheiten besondere Sprechzeiten für Privatpatienten an, so dass es selbstverständlich immer wieder vorkommen kann, dass die Sprechstundenhilfe für die Privatsprechstunde noch zeitnahe Termine anbieten kann. Dementsprechend gibt es auch nirgendwo in unserem Rechtssystem, also weder im Berufs- oder Kassenarztrecht noch gar im Zivil- oder Strafrecht, eine Bestimmung, wonach der Kassenpatient bei der Terminvergabe ebenso behandelt werden müsse wie der Privatpatient.

Verfassungsfeindliche Ziele von Grünen und Linken

Dass Grüne und Linke im Zusammenhang mit der Diskussion um Wartezeiten nunmehr eine Vereinheitlichung der Gebührenordnungen und gar eine Abschaffung der PKV fordern, zeugt einerseits von einer erschreckenden Ignoranz der zugrunde liegenden Zusammenhänge und andererseits von einem äußerst problematischen Verständnis der elementaren Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes. Denn das Recht des einzelnen Bürgers, eine Privatbehandlung mit freier Terminvereinbarung bei einem Arzt seiner Wahl anzustreben, ist völlig unabhängig von der Existenz einer GOÄ oder der PKV insgesamt. Denn dieser Privatpatient ist eben – unabhängig von seinem Versichertenstatus – zunächst einmal „Selbstzahler“, und die Wahrnehmung einer Privatbehandlung außerhalb der Fesseln einer kollektivvertraglichen Versorgung wird ihm durch das umfassende Freiheitsrecht des Artikels 2 GG garantiert. Dem entspricht das Freiheitsrecht des Arztes nach Artikel 12 GG, einen solchen Patienten im Rahmen der von diesem gewünschten Privatbehandlung auch tatsächlich zu versorgen. Wer diese beiden elementaren Grundrechte von Patient und Arzt mit ignoranten Argumenten und aggressiver Rhetorik sturmreif schießen will, sollte sich vor dem Bundesverfassungsgericht sehr warm anziehen.