Vor dem Regierungswechsel

ARZT & WIRTSCHAFT (2005)
Vor dem Regierungswechsel

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Die als Neuwahl verkaufte Kapitulation von Rot-Grün verschafft auch der Gesundheitspolitik völlig neue Perspektiven. Sollten Merkel und Westerwelle den Wechsel schaffen, ergäbe sich eine einzigartige politische Konstellation: Für mindestens drei Jahre wüsste die neue Bundesregierung eine klare Bundesratsmehrheit hinter sich. Damit ließen sich dann wirklich wichtige strukturpolitische Zeichen setzen.

Verunsicherte Patienten, bestohlene Ärzte

Eines allerdings ist schon absehbar: Die sieben fetten Jahre für verirrte Gesundheitsökonomen sind nun ganz sicher vorbei. Der Tanz um die goldenen Kälber rot-grüner Versorgungsideologie geht wohl unweigerlich zu Ende. Denn sowohl das bürokratielastige Disease Management als auch die integrierte Versorgung haben die Patienten stark verunsichert, den Ärzten wertvolle Zeit gestohlen und damit die Versorgungsqualität letztlich spürbar verschlechtert.

Union und FDP haben sich im Übrigen klar gegen eine weitere bürokratische Aufblähung des Risikostrukturausgleichs positioniert. Damit können morbiditätsorientierte Regelleistungsvolumina faktisch beerdigt werden. Die KBV sollte sich daher schleunigst ein neues Konzept ausdenken, um die Budgetierung zu beenden. Dabei muss die politische Forderung nach einem Ende der absurden Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung wieder in den Vordergrund rücken, anstatt sich in abstruser Versorgungsbedarfsmathematik zu verlieren, die überhaupt niemand mehr versteht.

Allerdings wird der neue Gesundheitsminister – ob Peter Müller oder ein anderer – keinen Spielraum für Geschenke haben. Sein Auftrag wird die Entlastung des Faktors Arbeit, also die spürbare Senkung der Lohnnebenkosten sein. Dies kann nur gelingen, wenn die GKV auf ihre Kernaufgaben zurückgeführt und die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt wird.  Dabei wird wohl auch das Leistungsrecht liberalisiert. Wenn die Kassen künftig wieder mit Satzungsleistungen um Versicherte werben dürfen, hat dies auch für die Ärzte sein Gutes: Wahlleistungen wie die Akupunktur müssen nicht zum Nulltarif in den EBM aufgenommen werden, sondern lassen sich frei mit den Kassen aushandeln.

Mehr Eigenverantwortung bedeutet dann auch eine Stärkung des „Zweiten Gesundheitsmarkts“, der angesichts wachsender Bedeutung allerdings auch stärker reguliert werden dürfte. Trotz der notwendigen Regulierung in diesem Teilsegment sollte die generelle Stoßrichtung der Ärzte verstärkt auf eine konsequente Entbürokratisierung zielen. Die ist ohne Mehrausgaben zu haben und verschafft den Ärzten dennoch mehr Freiheiten – sowohl für die Patienten als auch für die eigene Familie.

Gewinner der neuen politischen Konstellation ist in jedem Fall die Private Krankenversicherung. Der Stopp der Bürgerversicherung wird Ihre Existenz in der heutigen Form auf Jahre hinaus sichern. Allerdings kann dies auch früher als erwartet Bewegung in die GOÄ bringen – und das kann zum Nachteil der Ärzte sein.

Ein Gutes dürfte der anstehende Regierungswechsel in jedem Fall haben: Endlich werden die Ärzte wieder ihr Frühstück genießen können, ohne am Radio von den neuesten Luftnummern eines „Regierungsberaters“ namens Lauterbach behelligt zu werden.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Vor dem Regierungswechsel – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 06/2005

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