Das Grund- und Wahl-Phantom

Das Grund- und Wahl-Phantom

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Schon seit vielen Jahren gehört es zu jeder gesundheitspolitischen Diskussion wie einst der „Blaue Bock“ zum gutbürgerlichen Samstag-Nachmittag: Das Phantom der Grund- und Wahlleistungen. Und spätestens seit der Vorstellung des Zwiebel-Modells aus dem Gemüsegarten des Sachverständigenrates treibt diese Diskussion den Zuhörern auch regelmäßig die Tränen in die Augen.

Gerade durch die Erwähnung im Zusammenhang mit künftigen GKV-Strukturen entsteht nämlich der Eindruck, die unsäglichen Kassenkartelle mit ihrem staatlich garantiertem Adressmonopol sollten demnächst bei der Absicherung von Wahlleistungen mit der privaten Krankenversicherung konkurrieren dürfen. Genau dies käme jedoch einer massiven Missachtung des europäischen Wettbewerbs- und Kartellrechts gleich.

Und das Wichtigste: Grund- und Wahlleistungen werden vielfach immer noch als Zukunftsoption gehandelt, obwohl es diese Definition im real existierenden Sozialgesetzbuch V doch schon längst gibt: Was vom Sozialgesetzbuch V gedeckt ist, gehört zu den Grundleistungen, alles andere zu den Wahlleistungen, für die – wenn gewünscht – eine private Versicherung abgeschlossen werden kann.

Zu diesen typischen Wahlleistungen gehören gesetzlich ausgeschlossene Leistungen wie etwa kosmetische Operationen, reisemedizinische Impfungen oder Schnupfenmittel ebenso wie die vom Bundesausschuss ausgeschlossenen Leistungen (zum Beispiel Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie) oder noch nicht eingeführte Verfahren (etwa Hautkrebs-Vorsorge). In meiner IGeL-Liste beispielsweise sind bereits 250 dieser Individuellen Gesundheitsleistungen erfasst.

Hinzu kommen noch die nach dem Sozialgesetzbuch grundsätzlich zulässigen Leistungen mit allerdings fraglicher Wirtschaftlichkeit. Das große Spektrum reicht hier von Massagen über sogenannte „umstrittene“ Arzneimittel bis hin zur umfassenden „Sicherheits-Diagnostik“. Auch „weiche“ Wahlleistungen wie der gehobene Praxisservice, die besonders ausführliche Beratung oder der Hausbesuch auf Wunsch des Patienten, die allesamt Gegenstand einer privaten Krankenversicherung sein können, dürfen von den gesetzlichen Krankenkassen nur im gesetzlich zulässigen Umfang der „Grundleistung“ erstattet werden.

Angesichts dieser klar erkennbaren Optionen zur konkreten Abgrenzung von Grund- und Wahlleistungen beweist die permanent nur theoretisch geführte Diskussion um diese Thematik, dass sich der gesundheitspolitische Elfenbeinturm gerade bei zunehmender Problemdichte viel lieber mit nebulösen Zukunftsoptionen befasst, in die jeder seine Wünsche hineinprojizieren darf, als sich dem in der Tat mühsamen und unpopulären Geschäft der alltäglichen Umsetzung bereits bestehender rechtlicher Möglichkeiten zu widmen.

Nur eines könnte mit der ermüdenden Debatte um Grund- und Wahlleistungen wieder versöhnen. Und zwar, wenn es dem Grund- und Wahl-Phantom gelingen sollte, den aktuellen Disease-Management-Wahn zu stoppen, der derzeit auf dem besten Weg zu sein scheint, das deutsche Gesundheitssystem seiner letzten rationalen Grundlagen zu berauben.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Das Grund- und Wahl-Phantom – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 03/2002

Download des Original-Artikels