Ein „aggressiver Akt“ des Insiders

Deutsches Ärzteblatt (2000)

Lothar Krimmel, ehemals stellvertretender KBV-Hauptgeschäftsführer, hat eine Firma gegründet, die einen zweiten Gesundheitsmarkt neben der GKV etablieren will.

Wir schreiben das Jahr 2005: Die Medizin hat sich rasant weiterentwickelt; Behandlungsalternativen, die Anfang des Jahrtausends noch undenkbar waren, gehören zum Standardrepertoire der Ärzte. Parallel dazu hat die Politik das Postulat der Beitragssatzstabilität für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) beibehalten. Resultierend aus dieser Kombination – „rasanter medizinischer Fortschritt“ plus „stabile Beiträge“ – garantiert der GKV-Leistungskatalog nur noch eine medizinische Grundsicherung der Bevölkerung. Wer es sich leisten kann und will, hat eine private Zusatzversicherung für sich und seine Familie abgeschlossen, die dann zum Tragen kommt, wenn die GKV die Kosten für eine Behandlung nicht übernimmt. Die jahrelang „durchbudgetierten“ Kassenärzte profitieren von der neuen Situation: Sie können ihren zusatzversicherten GKV-Patienten auch privat- und komfortmedizinische Leistungen anbieten und bekommen diese auch erstattet. Benachteiligt werden diejenigen Bevölkerungskreise, denen die private Zusatzversicherung zu teuer ist und denen infolgedessen nicht alle medizinisch möglichen Behandlungsalternativen zur Wahl stehen.

Für Dr. med. Lothar Krimmel, Allgemeinarzt in Köln, ist dieses Zukunftsszenario Grundlage einer Geschäftsidee, die er selber als „aggressiven Akt“ gegenüber dem jetzigen Gesundheitssystem bezeichnet. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienstverhältnis als stellvertretender Hauptgeschäftsführer bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) im September 1999 – „aufgrund fortbestehender Meinungsverschiedenheiten über die politisch-strategische Ausrichtung der KBV“ (Krimmel) – gründete er im November 1999 die MedWell Gesundheits-AG. Erklärtes Ziel des Unternehmens ist der systematische Aufbau einer „optimierten Individualmedizin“ für die 72 Millionen Kassenpatienten und damit eines „zweiten Gesundheitsmarktes“ in Deutschland. Ab dem dritten Quartal 2000 sollen die Leistungen „jenseits der Budgetgrenzen in der Kassenmedizin“ in Anspruch genommen werden können.

MedWell hofft auf 15 000 Partnerärzte bis 2005

Krimmels Geschäftsidee beruht auf einer Weiterentwicklung des Konzepts der Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) – einer Idee, die er in seiner KBV-Zeit mitentwickelte. Geschäftszweck der MedWell Gesundheits-AG ist es, als Makler zwischen Ärzten, Patienten und privaten Krankenversicherungen zu vermitteln. Gelder fließen in Form von Umsatzbeteiligungen an den abgerechneten privatärztlichen Leistungen für Kassenpatienten in die Firmenkasse.

Etwa 15 000 Partner-Ärzte will das Unternehmen bis Ende 2005 unter Vertrag haben. Bis Ende 2000 sollen nach Krimmels Vorstellungen bereits 1 000 Ärzte eingestiegen sein; zurzeit sind es gut 600. Diese verpflichten sich in einem 23 Seiten langen Vertrag zu Qualität und Fairness bei Beratung, Indikationsstellung und Abrechnung. Zudem muss ein Partnerarzt eine Fortbildung im Umfang von mindestens 40 Stunden jährlich in von Ärztekammern oder Berufsverbänden anerkannten Veranstaltungen nachweisen. Im Gegenzug darf der Arzt sich „MedWell-Partnerarzt“ nennen – ein Titel, der schon bald ein Markenzeichen für Qualität in der privatmedizinischen Zusatzversorgung werden soll, hofft Krimmel. Zudem verspricht MedWell eine bevorzugte Behandlung bei jenen Zusatzversicherungen für Kassenpatienten, an deren Entwicklung das Unternehmen mitgewirkt hat. Darüber hinaus kann ein Partnerarzt verschiedene Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Dazu zählen eine regelmäßige Versorgung mit arztgruppenspezifischen Patienteninfos sowie die telefonische und schriftliche Beratung bei ärztlichen Fragen zu IGeL-Abrechnungen, erstattungsfähigen Arzneimitteln und der Kostenerstattung im Rahmen der GKV.

Das Unternehmen bietet auch die Abrechnung sonstiger privatärztlicher Leistungen an. Für ihre Dienste berechnet die Med-Well eine Gebühr in Höhe von drei Prozent des privatärztlichen Umsatzes bei Kassenpatienten. Dieser liegt derzeit durchschnittlich bei etwa fünf Prozent des Umsatzes einer Kassenpraxis. Beträgt der Quartalsumsatz mit IGel-Leistungen weniger als 3 333 DM, so greift die Mindestquartalsgebühr von 100 DM. Einmalig 100 DM kostet zudem die Zertifizierung als MedWell-Praxis. Bei Abrechnung über eine MedWell-Abrechnungsstelle werden zusätzlich 2,4 Prozent des Umsatzes erhoben, zuzüglich einer Pauschale von 2,50 DM je Rechnung. Der Partnerarzt-Vertrag gilt für das Jahr des Vertragsabschlusses sowie die beiden Folgejahre.

Kooperation mit Privatversicherung

Die erste private Zusatzversicherung für Kassenpatienten hat Krimmel mit der Deutschen Krankenversicherung (DKV), Köln, ausgehandelt. Zu den in der neuen Police namens „OptiMed“ versicherten Leistungen zählen ein Gesundheits-Check-up, ein erweitertes Vorsorge-Angebot für Kinder, eine große Krebsvorsorge für Männer und Frauen, die Hautkrebs-Vorsorge, die Brustkrebs-Vorsorge (mit Mammographie), die Glaukom-Vorsorge, die Osteoporose-Vorsorge, eine reisemedizinische Beratung und Impfung sowie sportmedizinische Vorsorge-Untersuchungen. Die Prämie für diese DKV-Zusatzversicherung soll nach MedWell-Angaben zwischen 30 und 50 DM monatlich je Versicherten liegen. Dass die DKV als erste Versicherung diesen neuen Markt erschließen wird, ist kein Zufall: Der Marktführer unter den privaten Krankenversicherungen hat gerade einen zehnprozentigen Anteil an der Med-Well Gesundheits-AG erworben und sich dadurch auch einen Sitz im Aufsichtsrat gesichert. Weiteres Startkapital soll über die MedWell Beteiligungs-Fonds GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach, in das Unternehmen fließen. Die MedWell Fonds KG investiere Wagniskapital in passive Wachstumsbeteiligungen an jungen Unternehmen in der Gründungsphase, die vor dem Eintritt in den Gesundheitsmarkt stehen, innovative Unternehmenskonzepte aufweisen sowie ein hohes Umsatz- und Ertragspotenzial erkennen lassen, heißt es in einer Vorabinformation der Venture Capital-Gesellschaft. Die Hälfte des Fonds-Volumens (fünf Millionen Euro) sollen in die MedWell Gesundheits-AG fließen.

Privatinvestoren – angesprochen sind die MedWell Vertragsärzte – können sich ab 10 000 Euro an dem Fonds beteiligen. Bislang haben den Angaben zufolge etwa 80 Ärzte das Angebot angenommen und sind mit der Mindestbeteiligungssumme eingestiegen. Die Investition in die MedWell Fonds KG ist allerdings nicht ohne Risiko; eine Anlageentscheidung sollte mit einem Berater abgestimmt werden. In der Vorabinformation heißt es: „Eine Beteiligung sollte nicht als Alternative, sondern nur als Ergänzung zu einer traditionellen Geldanlage gesehen werden. Der Anleger sollte daher nur einen Teil seines Vermögens einsetzen. Die Anteile sind nur bedingt veräußerbar.“

Altbekannte Mitarbeiter

Vom Erfolg des Krimmel-Unternehmen überzeugt sind drei ehemalige Mitarbeiter der KBV sowie einer der Bundesärztekammer (BÄK): Sibilla Papenkort (41 Jahre), Dr. rer. pol. Felix Hoffmann (39 Jahre), Jens-Eberhard Wetter (36 Jahre, alle KBV) und Dr. med. Bernhard Kleinken (53 Jahre, BÄK) werden nicht mit den Spitzenorganisationen der Ärzteschaft nach Berlin umziehen, sondern wechseln zur MedWell Gesundheits-AG.

Papenkort arbeitet bereits als Referentin für Arzneimittel, Hoffman übernimmt die Abteilung „Verträge und Qualität“, Kleinken wird Chef der Abteilung „Forschung und Entwicklung“, Wetter assistiert ihm dabei. Pikant: In Kürze können die vier vielleicht sogar wieder ihren gewohnten Weg zur Arbeitsstelle einschlagen. Gerüchten zufolge hat Krimmel Interesse daran, zumindest Teile des jetzigen KBV-Gebäudes zu übernehmen und zu seinem Unternehmenssitz auszubauen.

 

Gegen die stille Rationierung

Drei Fragen zu MedWell an Dr. med. Lothar Krimmel

DA: Der Erfolg Ihres Unternehmens setzt voraus, dass die Ärzte Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt sind, über eine private Zusatzversicherung ihrer Patienten abrechnen können. Haben Sie mit der MedWell Gesundheits-AG ein System zur „Einkommensmaximierung“ für Vertragsärzte geschaffen?

Dr. Krimmel: Die Kassenärzte sind wichtiger Teil unserer Dienstleistungsgesellschaft. Kein anderer Freier Beruf lässt es sich gefallen, dass sein qualifiziertes Dienstleistungsangebot als „System zur Einkommensmaximierung“ diskreditiert wird. Wer dies als Arzt akzeptiert, hat sich innerlich mit der Degradierung zum reinen Kassenangestellten abgefunden, dessen Aufgaben sich – bei vollem freiberuflichem Risiko – darin erschöpfen, die versorgungsfeindlichen Budgets im Rahmen einer umfassenden stillen Rationierung an die Patienten weiterzugeben. Im Übrigen: Das MedWell-Konzept einer optimierten Individualmedizin wäre auch ohne private Zusatzversicherung für unsere Patienten und Gesundheits-Kunden ein interessantes Angebot. Die private Zusatzversicherung ist allerdings ein enormer Verstärkungsfaktor, der die Chancen privater Zusatzversorgung für breite Bevölkerungskreise offensichtlich macht.

DA: Wie sehen Sie die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung? Wird das Prinzip der Pflichtversicherung in absehbarer Zeit aufgegeben und durch eine allgemeine Versicherungspflicht wie in der Kraftfahrzeugversicherung (Kasko-Versicherung) abgelöst?

Dr. Krimmel: Die    Ablösung    der Pflichtversicherung durch eine Versicherungspflicht mit Wahlfreiheit des Bürgers unter allen Versicherungsanbietern ist überfällig. Es ist anachronistisch, dass im Kernland des europäischen Gesundheitsmarkts das Recht zur Krankenversicherung für 60 Millionen Bürger auf die im 19. Jahrhundert definierten Kassen-Monopole beschränkt bleiben soll. Notwendig ist daher die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht für die Absicherung einer gesundheitlichen Grundversorgung auf der Basis eines europakompatiblen Kostenerstattungssystems.

DA: Unternehmensziel der MedWell GesundheitsAG ist der Aufbau eines „zweiten Gesundheitsmarktes“. Ist das nicht das Ende des Solidaritätsprinzips in der Gesetzlichen Krankenversicherung?

Dr. Krimmel: Das Solidaritätsprinzip ist ein wichtiges Element der Grundsicherung gegen die Überforderung des Einzelnen im Krankheitsfall. Moderne Medizin bietet jedoch auch Antworten auf weitergehende gesundheitliche Ansprüche – von der erweiterten Gesundheitsvorsorge über definierte Komfort- und Serviceleistungen bis hin zur kosmetischen Medizin. Dieser „zweite Gesundheitsmarkt“ kann niemals Gegenstand einer solidarischen Versi-[cherung sein.]

Verfasser
Redaktion Deutsches Ärzteblatt (Jens Flintrop)

Quellenangabe
REDAKTION Deutsches Ärzteblatt (Jens Flintrop):  Krimmel gründet AG. In: Deutsches Ärzteblatt (Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, 50859 Köln), Jg. 97, Heft 39, 29. September 2000, S. A 2508f.

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