Jetzt erst recht IgeLn!

ARZT & WIRTSCHAFT (2002)
Jetzt erst recht IgeLn!

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Nach der Vorlage des Koalitionsvertrags ist die Katze aus dem Sack: Rot-Grün plant eine weitgehende Kollektivierung und Bürokratisierung des Gesundheitssystems zu Lasten freiberuflicher und privatwirtschaftlicher Leistungsträger:

  • Der gesetzlichen Krankenversicherung werden durch sozial-und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen Milliarden an Beitragseinnahmen entzogen.
  • Zum „Ausgleich“ werden durch die Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze auf 54.000 Euro rund 40 Prozent der bislang freiwillig Versicherten künftig dem GKV-System zwangsweise zugeschlagen.
  • Mit der geplanten obligatorischen Rezertifizierung von Vertragsärzten wird ein international längst als unsinnig und qualitätsfeindlich verworfener Machbarkeitswahn reaktiviert.
  • Die künftige Zulassung von Gesundheitszentren mit angestellten Ärzten öffnet dem Einstieg kapitalkräftiger Investoren in die ambulante Versorgung Tür und Tor.
  • Mit dem „Deutschen Zentrum für Qualität in der Medizin“ entsteht ein allgewaltiger Bürokratie-Moloch, der selbstverliebten Expertokraten als Hebel für die Umsetzung patientenferner Konzepte dienen wird.

Der Hausärzteverband hat mit seinem rot-grünen Schmusekurs wohl auch nur erreicht, dass die wirtschaftlichen Tiefschläge ein wenig milder ausfallen. Allerdings dürfte den Hausarztstrategen die Aussicht auf ein eigenes Verhandlungsmandat in den KVen Versuchung genug gewesen sein, den Ritt auf dem rot-grünen Tiger zu wagen.

Das ärztliche Honorarszenario – besser redet man wohl vom ärztlichen Horrorszenario – ist damit für die nächsten vier Jahre recht deutlich erkennbar: In der GKV – immerhin noch für rund 75 Prozent aller Einnahmen verantwortlich – wird es allenfalls Nullrunden geben – und das bei steigenden Betriebsausgaben. Hinzu kommt, dass die Ärzte für dieses stagnierende Honorar immer mehr leisten sollen: Mit der Einführung der DRG-Pauschalen in Krankenhäusern steigt der ambulante Versorgungsbedarf (Stichwort: „blutige Entlassung“) und auch die Disease-Management-Programme verlangen Mehraufwand ohne mehr Vergütung. In der PKV aus der etwa 20 Prozent der ärztlichen Einnahmen kommen, sind die fetten Jahre endgültig vorüber. Spätestens mit dem Wegfall von 40 Prozent der jungen Versicherten werden PKV und Beihilfestellen massive Korrekturen am GOÄ-Gefüge erzwingen. Ergebnis für die nächsten vier Jahre: Auch hier höchstens Nullrunden.

Damit wird der „ Zweite Gesundheitsmarkt“, insbesondere die Individuellen Gesundheitsleistungen, zum letzten Hoffnungsanker für die Niedergelassenen. Obwohl derzeit nur für etwa fünf Prozent aller Honorareinnahmen verantwortlich, sind die 15 Prozent jährlichen Wachstums aus den vergangenen vier Jahren durchaus auch in den nächsten vier Jahren möglich. Die Politik täte gut daran, dieses Ventil für die Erfüllung zusätzlicher Gesundheitsansprüche zuzulassen. Auch die Ärztekammern sind gefordert, sich der notwendigen Entwicklung der ärztlichen Profession nicht länger entgegenzustellen. Ansonsten wird die Vision von Gesundheit als dem Zukunftsmarkt des 21. Jahrhunderts schnell zum Rohrkrepierer.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Jetzt erst recht IgeLn! – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 11/2002

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