Kassen auf den Prüfstand!

ARZT & WIRTSCHAFT (2002)
Kassen auf den Prüfstand!

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Die Wahlschlacht ist geschlagen. Der Pulverdampf ist verraucht. Jetzt geht es an die Arbeit für die überfällige Gesundheitsreform. Auf den Prüfstand gehören dabei zuallererst die Krankenkassen selbst. Die Kassen haben sich zuletzt immer stärker als eigentlichen Zweck des Gesundheitswesens feiern lassen. Nichts zeigt dies eindrucksvoller als die törichte Konzentration aller Kräfte auf Risikostrukturausgleich und Disease Management Programme. Doch es sind vor allem die Krankenkassen, die dringend einer Reform an Haupt und Gliedern bedürfen:

Die Zahl der Krankenkassen muss drastisch reduziert werden. Es kann nicht sein, dass kaum überlebensfähige Krankenkassen weiter unsinnige Verwaltungskosten produzieren, nur damit ein ganzes Heer überflüssiger Vorstände und Verwaltungsräte unterhalten werden kann. Die unübersichtliche Kassenlandschaft heutiger Prägung fördert nicht den Kassen-Wettbewerb, sondern behindert ihn eher.

Die Innungskrankenkassen sind als „Krankenversicherung der Handwerker“ historisch überholt und heute gänzlich überflüssig. Sie „bereichern“ die Kassenlandschaft nur noch mit ungewöhnlich hohen Beitragssätzen und sind daher auf Dauer auch nicht überlebensfähig. Sie sollten daher mit dem AOK-System verschmolzen werden.

Die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen müssen endlich budgetiert werden. Die Selbstbedienung der Kassenverwaltungen auf Kosten der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung muss ein Ende haben. Es ist ein Skandal, dass die Kassen die Verwaltungsarbeit zunehmend auf die Ärzte verlagern und trotzdem jedes Jahr Verwaltungsausgaben von sieben Milliarden Euro aus der Patientenversorgung abziehen.

Die Krankenkassen müssen vor allem im Hinblick auf ihre internen Abläufe stärker kontrolliert werden. Jahr für Jahr schaufeln sich betrügerische Kassenmitarbeiter Millionenbeträge in die eigenen Taschen. Dieses Geld würde dringend für die Patientenversorgung gebraucht. Die großen Betrugsfälle von BEK-Angestellten in Berlin und von BKK-Angestellten in Düsseldorf waren wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Denn diese Fälle wurden eher durch einen Zufall aufgedeckt. Das zeigt, wie einfach den Kassenmitarbeitern der Betrug an den Versicherten gemacht wird.

Notwendiger Kernpunkt jeder Gesundheitsreform ist jedoch die Ablösung der historisch überholten und rechtlich fragwürdigen Pflichtversicherung durch eine allgemeine Versicherungspflicht. Mit einem solchen Schritt könnten auf einen Schlag zahlreiche Strukturprobleme gelöst werden, die durch das derzeitige Kassenmonopol erzeugt werden. Die Krankenkassen würden zum Nutzen von Versicherten und Patienten ihre aus dem 19. Jahrhundert stammenden Privilegien verlieren. Sie wären dann gezwungen, sich einem echten Wettbewerb zu stellen, nämlich dem Wettbewerb mit Unternehmen der privaten Krankenversicherung.

Dabei ist natürlich eines klar: Die Kassenreform ist nicht alles. Aber ohne Kassenreform ist alles andere nichts!

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Kassen auf den Prüfstand! – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 09/2002

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