Neue Aspekte in der gesetzlichen Mutterschaftsvorsorge

Deutsches Ärzteblatt (1990)

Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat am 22. Juni 1990 die Einführung einer zusätzlichen präpartalen Rhesus-Prophylaxe beschlossen. Der Beschluß ist am 1. September 1990 in Kraft getreten. Diese wichtige Ergänzung der Mutterschafts-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gibt Anlaß, auf einige der derzeit diskutierten Fragen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Mutterschaftsvorsorge einzugehen.

Präpartale Rhesus-Prophylaxe mit Anti-D-Immunglobulin

Bei der Rh-Erythroblastose handelt es sich um eine schwerwiegende fetale Erkrankung, an der ohne die bereits seit vielen Jahren praktizierte postpartale Anti-D-Prophylaxe etwa jedes 200. Kind erkranken würde. Bei einer auf die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen bezogenen Geburtenzahl von etwa 600 000 pro Jahr im Bundesgebiet wären somit 3000 erkrankte Kinder zu erwarten, wovon rund 600 bereits pränatal schwerstens geschädigt würden. Aufgrund der postpartalen Anti-D-Prophylaxe konnte die Rh-Sensibilisierung von Rh-negativen Müttern durch Rh-positive Feten um mehr als 80 Prozent vermindert werden. Im Bundesgebiet ist daher derzeit von jährlich 500 bis 600 Rh-Erythroblastose- Fällen auszugehen, wovon 20 Prozent — also bis zu 120 Kinder (Feten) — so schwer bedroht sind, daß eine intrauterine Blutaustauschtransfusion erforderlich wird.

Die Mehrzahl der jährlich mehr als 1000 Rh-Sensibilisierungen von Schwangeren und der 500-600 fetalen Rh-Erythroblastosen, die durch eine alleinige postpartale Anti-D-Prophylaxe nicht verhindert werden können, werden durch den Übertritt Rh-positiver fetaler Erythrozyten im letzten Drittel der Schwangerschaft verursacht. Bis zu 90 Prozent dieser Erkrankungen können verhindert werden, wenn in der 28. oder 29. Schwangerschaftswoche eine zusätzliche präpartale Anti-D-Prophylaxe bei allen Rhnegativen Schwangeren — das sind rund 15 Prozent aller Schwangeren — durchgeführt wird. Durch eine Kombination der präpartalen mit der bereits praktizierten postpartalen Anti-D-Prophylaxe können daher weitere rund 500 Rh- Erythroblastose-Fälle — davon zirka 100 schwere Fälle mit ansonsten notwendigen Austauschtransfusionen — vermieden werden. Somit ist bei realistischer Betrachtung davon auszugehen, daß auf diese Weise die Gesamtzahl der pro Jahr im Bundesgebiet auftretenden Fälle von fetaler Rh-Erythroblastose auf zirka 100 reduziert werden kann.

Für die Schutzwirkung der zusätzlichen präpartalen Anti-D-Prophylaxe ist der Zeitpunkt der Durchführung von besonderer Wichtigkeit. Bei Applikation des Anti-D-Immunglobulins in der 28. oder 29. Schwangerschaftswoche kann davon ausgegangen werden, daß bis zum Entbindungstermin ein ausreichender Schutz gewährleistet ist. Dabei soll die Anti-D-Prophylaxe unmittelbar nach der Blutentnahme für den zweiten Antikörper-Suchtest erfolgen. Hierfür kann zur Erzielung eines hohen Anti-D-Immunglobulin-Spiegels im Serum die intravenöse Injektion des Immunglobulins über die für die Blutentnahme verwendete Kanüle erfolgen, sofern nicht eine intramuskuläre Injektion durchgeführt wird.

Das Ergebnis des zweiten Antikörper- Suchtests muß nicht abgewartet werden; der Suchtest ist aber dennoch von Bedeutung, um eine bis zum Zeitpunkt der präpartalen Prophylaxe erfolgte Rh-Sensibilisierung feststellen zu können. Ein zeitliches Auseinanderziehen des zweiten Antikörper-Suchtests und der Anti-D-Prophylaxe würde einen vermeidbaren organisatorischen Aufwand bedeuten, der medizinisch nicht begründet werden könnte, weil auch in der geringen Zahl von Fällen mit vor der 28. oder 29. Schwangerschaftswoche erfolgter Sensibilisierung die (dann streng genommen unnötige) Anti-D-Prophylaxe zumindest nicht schaden könnte.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden im übrigen bemüht sein, die Sprechstundenbedarfsvereinbarungen für den Bereich der Primärkassen (AOK, BKK, IKK, LKK, Knappschaft) möglichst rasch in der Weise zu ergänzen, daß eine Verordnung von Anti-D-Immunglobulin als Sprechstundenbedarf möglich ist. Für Ersatzkassenversicherte wird diese Möglichkeit zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Verbänden der Ersatzkassen voraussichtlich bereits in Kürze vereinbart werden.

Indikationen zur Untersuchung auf HBs-Ag in der Schwangerschaft

In der Bundesrepublik Deutschland sind etwa 0,8 Prozent der Einwohner Träger des Hepatitis B-Virus-Antigens (HBs-Ag). Bei einer Geburtenzahl von rund 600 000 kann davon ausgegangen werden, daß jährlich etwa 5000 HBs- Ag-positive Frauen eine Schwangerschaft eingehen. Die Kinder dieser Schwangeren sind in erheblichem Maße gefährdet, von ihren Müttern im perinatalen Zeitraum infiziert zu werden. Aus diesem Grunde sollen alle von HBs-Ag-positiven Müttern entbundenen Neugeborenen einen kombinierten Aktiv-Passiv-Impfschutz gegen Hepatitis B erhalten. Auf diese Weise könnte der Großteil der ansonsten zu erwartenden 500 bis 1000 kindlichen Krankheitsfälle (Hepatitis B, Leberzirrhose, Leberzellkarzinom) verhindert werden.

Voraussetzung für eine wirksame Vermeidung des Auftretens von Hepatitits B-Fällen bei Säuglingen ist eine möglichst vollständige Erfassung der HBs-Ag-positiven Schwangeren. Da rund 90 Prozent dieser Schwangeren bestimmten Risikogruppen zugeordnet werden können, wurde in den Mutterschafts- Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen festgelegt, daß die Untersuchung auf HBs-Ag nach der 32. Schwangerschaftswoche (möglichst nahe am Geburtstermin) nur bei solchen Schwangeren durchzuführen ist, die in bezug auf das Infektionsrisiko mit Hepatitis B einem besonders gefährdeten Personenkreis (Risikogruppe) angehören. Es wird geschätzt, daß mehr als 100 000 Schwangere (von 600 000 pro Jahr) den neun, in der Anlage 4 zu den Mutterschafts- Richtlinien aufgeführten Risikogruppen zugeordnet werden können. Da der Anteil der HBs-Ag-Positiven in den Risikogruppen deutlich höher ist als im Bundesdurchschnitt (zum Beispiel bei türkischen Frauen ca. vier Prozent), wäre die Erfassung aller Schwangeren aus Risikogruppen von großer Bedeutung. Allerdings spricht die Zahl von 17 100 im Jahre 1989 zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechneten Untersuchungen auf HBs-Ag in der Schwangerschaft dafür, daß derzeit nur ein kleiner Teil der HBs-Ag positiven Schwangeren ermittelt werden kann.

Angesichts dieser unbefriedigenden Situation müssen die mit der Betreuung von Schwangeren befaßten Ärzte nochmals auf die Bedeutung der HBsAg- Untersuchung bei allen Angehörigen von Risikogruppen hingewiesen werden. Allerdings wurde auch bereits häufig Kritik an der Begrenzung der HBs-Ag-Untersuchungen auf Angehörige von Risikogruppen geübt, da angesichts der Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Risikogruppen und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Einbeziehung sehr intimer Fragen die Erkennung HBs-Ag-positiver Schwangerer unnötig erschwert werde. So ist in der Tat bei einigen der in der Anlage 4 zu den Mutterschafts-Richtlinien genannten Risikogruppen (zum Beispiel: „Personen mit häufigem Wechsel der Sexualpartner“) eine Zuordnung aufgrund eines ärztlichen Gesprächs teilweise nur sehr schwer möglich. Aufgrund dieser Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Schwangeren zu Risikogruppen wurde wiederholt ein generelles HBs-Ag-Screening bei Schwangeren im dritten Trimenon gefordert, zumal auch die kleine, aber dennoch nicht unbedeutende Zahl von HBs-Ag-positiven Schwangeren außerhalb der bekannten Risikogruppen nicht vergessen werden dürfe.

Um mögliche Schwierigkeiten in der Praxis hinsichtlich der Zuordnung von Schwangeren zu einer der Risikogruppen zu vermeiden und auch um die absolute Zahl der erkannten HBs-Ag-positiven Schwangeren möglichst kurzfristig anzuheben, wird -solange ein allgemeines Screening nicht offiziell eingeführt ist – von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen eine flexiblere Handhabung des Indikationskatalogs nach den Mutterschafts-Richtlinien empfohlen. So soll immer dann eine Testung auf HBs-Ag nach den Mutterschafts-Richtlinien durchgeführt werden können, wenn letztlich nicht geklärt werden kann, ob die betreffende Schwangere einer der Risikogruppen angehört. Dies kommt im Ergebnis dem von vielen Ärzten geforderten allgemeinen Screening auf HBs-Ag bereits sehr nahe.

Röteln-Serologie

Angesichts der Tatsache, daß dem Bundesgesundheitsamt weiterhin Fälle von Röteln-Embryopathie gemeldet werden, steht die Röteln-Problematik zu Recht nach wie vor mit im Zentrum der Mutterschaftsvorsorge. Röteln-Immunität und damit Schutz vor einer Röteln-Embryopathie wird angenommen, wenn der Titer im HAH-Test mindestens 1:32 beträgt (bei niedrigeren RAH-Titern ist die Spezifität des Antikörpernachweises durch eine andere geeignete Methode zu sichern). Die Annahme der Immunität erfolgt unter der Voraussetzung, daß aus der gezielt erhobenen Anamnese keine für diese Schwangerschaft relevanten Anhaltspunkte für Rötelnkontakt oder eine frische Röteln-Infektion erkennbar sind. Die anamnestischen Daten sind dem Arzt, der die serologische Untersuchung durchführt, mitzuteilen. Ist die Anamnese auffällig, sind weitere serologische Untersuchungen zur Kontrolle des Titerverlaufs oder zum Nachweis Röteln-spezifischer IgM-Antikörper durchzuführen. Gegen die Durchführung der serologischen Untersuchung in der vorstehend beschriebenen Weise wurde wiederholt eingewandt, daß eine frische Röteln-Infektion, die zum Zeitpunkt der Blutentnahme bei den Schwangeren abläuft, durch die einmalige Titerbestimmung im RAH-Test nicht erkannt würde. Fälschlich würde in solchen Fällen Röteln-Immunität bescheinigt, obwohl der Titer aus dem Titerverlauf einer frischen Röteln-Infektion stammen könnte. Um eine frische Röteln-Erstinfektion- nur sie kann zu einer Röteln-Embryopathie führen – bei einer Schwangeren sicher ausschließen zu können, wurde gefordert, in jedem Fall zusätzlich zum Röteln-RAH-Test routinemäßig auf IgM-Antikörper gegen Röteln zu untersuchen. Gegen ein Screening auf IgM-Antikörper sprechen jedoch folgende Tatsachen:

  • Nach Untersuchungen von ENDERS (Stuttgart) haben nur 5 Prozent der Schwangeren ohne Impfanamnese und nur 2 Prozent der Schwangeren mit Impfanamnese keine Röteln-Antikörper.
  • Der positive Nachweis von IgMAntikörpern gegen Röteln weist nicht zwingend auf eine Erstinfektion mit Rötelnvirus zum Zeitpunkt der Blutentnahme hin, da sie für längere Zeit persistieren können und somit möglicherweise von einer Rötelninfektion aus dem Zeitraum vor der Schwangerschaft stammen.
  • Das Fehlen von lgM-Antikörpern gegen Rötelnvirus schließt eine im Zeitraum der Frühschwangerschaft durchgemachte Erstinfektion nicht aus, da IgM-Antikörper gegebenenfalls nur kurzzeitig nachweisbar sein können.
  • lgM-Antikörper gegen RötelnVirus können – dann allerdings zumeist in niedriger Konzentration – bei Reinfektionen, insbesondere bei nachlassender Immunität nach früher durchgemachter Schutzimpfung auftreten .
  • Beim Nachweis von lgM-Antikörpern gegen Röteln-Virus können – insbesondere bei methodisch problematischen Verfahren- durch „Störfaktoren“ (zum Beispiel Rheumafaktoren, infektiöse Mononukleose, aggregiertes IgG) falsch positive Reaktionen auftreten.

Der einmalige Nachweis von Röteln- IgM-Antikörpern bei einer Schwangeren führt somit nicht ohne weiteres zu mehr Sicherheit in der Röteln-Serologie. Es kann vielmehr in einer hohen Zahl von Fällen zur falschen Annahme einer frischen Erstinfektion mit Röteln-Virus kommen, gegebenenfalls mit der fatalen Konsequenz, daß die Schwangerschaft durch Abbruch beendet wird. Können andererseits Röteln-IgM-Antikörper bei der einmaligen Untersuchung nicht nachgewiesen werden, so kann daraus nicht mit Sicherheit geschlossen werden, daß nicht doch kürzlich eine Erstinfektion mit der Möglichkeit einer Röteln-Embryopathie durchgemacht wurde. Ein generelles Screening auf Röteln-IgMAntikörper ist aus den genannten Gründen offensichtlich auch nicht geeignet, zur rechtlichen Absicherung des Arztes auf dem Gebiet der RötelnSerologie in der Schwangerschaft beizutragen. Aufgrund dieser Sachlage hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen offensichtlich keine Veranlassung gesehen, die MutterschaftsRichtlinien in diesem Punkt zu ändern. Demnach ist bei der serologischen Untersuchung auf Röteln eine IgM-Bestimmung nach wie vor nur dann vorgesehen und abrechnungsfähig, wenn aufgrund der Anamnese der Schwangeren der Verdacht auf Röteln-Kontakt oder der Verdacht auf frische Röteln-Infektion besteht. Im übrigen belegen die Abrechnungszahlen aus dem Jahr 1989, daß die mit der Mutterschaftsvorsorge befaßten Ärzte offensichtlich nach diesen Vorgaben verfahren. So wurde der Röteln-RAH-Test in dem genannten Zeitraum 486 500mal durchgeführt, während Röteln-IgMAntikörper lediglich in 109 000 Fällen (22,4 Prozent) bestimmt wurden.

Da mit einer in der Frühschwangerschaft erstmalig durchgeführten Untersuchung auf Röteln-Antikörper eine Röteln-Embryopathie ohnehin nicht verhindert werden kann (die „Verhinderung“ besteht ausschließlich im Schwangerschaftsabbruch) kann ein Schutz des Feten nur durch Feststellung der Röteln-Immunität vor einer Schwangerschaft — gegebenenfalls mit anschließender Schutzimpfung — erreicht werden. Deshalb sollten Frauen im gebährfähigen Alter durch Ärzte und Krankenkassen darauf hingewiesen werden, daß im Rahmen der „Sonstige- Hilfen-Richtlinien“ ein Röteln- Test zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt werden kann. Gleichzeitig muß unbedingt angestrebt werden, alle Kleinkinder — und zwar Mädchen und Jungen — ab dem 15. Lebensmonat mit dem Mumps-Masern-Röteln-Kombinationsimpfstoff zu erfassen, um auf diese Weise nicht nur einen wirksamen Schutz gegen diese Infektionen herbeizuführen, sondern auch die Zahl der möglichen Infektionsquellen zu minimieren.

Bei konsequenter Durchführung dieser Maßnahmen könnte eine serologische Erstuntersuchung in der Frühschwangerschaft mit ihren vorstehend beschriebenen Problemen auf lange Sicht entbehrlich werden.

Toxoplasmose-Diagnostik

Infiziert sich eine Frau während einer Schwangerschaft erstmalig mit Toxoplasmen, so kann dies in bis zu 50 Prozent der Fälle auch zur pränatalen Infektion des Feten führen. Die Schädigungen aufgrund dieser pränatalen Infektion können sich von Aborten über schwere zerebrale Veränderungen bis hin zu Spätmanifestationen im jugendlichen Alter (zum Beispiel Erblindung) erstrecken. Nach vorsichtigen Schätzungen haben etwa 35-50 Prozent der Schwangeren zuvor bereits eine Toxoplasma-Infektion durchgemacht und sind insofern gegen eine pränatale Infektion des Feten geschützt. Die Serokonversionsrate in der Schwangerschaft, das heißt die Rate der in der Schwangerschaft auftretenden Erstinfektionen wird — bezogen auf alle Schwangeren — mit ca. 0,5 Prozent angegeben, so daß sich bei 600 000 Geburten pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland eine Zahl von rund 3000 in der Schwangerschaft erstmals mit Toxoplasmen infizierten Schwangeren ergibt. Das Risiko der hämatogenen Ubertragung einer Toxoplasmose-Infektion auf den Feten steigt mit zunehmendem Gestationsalter an, von weniger als 20 Prozent bei Infektion im ersten Trimenon auf mehr als 60 Prozent im dritten Trimenon.

Unter Zugrundelegung dieser Infektionsraten kann davon ausgegangen werden, daß von den rund 3000 erstmals infizierten Schwangeren rund 1050 Feten pränatal infiziert werden. Obwohl nicht alle infizierten Feten auch tatsächlich manifest erkranken, ist demnach die Annahme berechtigt, daß die nach Angaben des Bundesgesundheitsamts pro Jahr gemeldeten ca. 130 Erkrankungen an konnataler Toxoplasmose nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Erkrankungsfälle wiedergeben. Um eine Infektion mit Toxoplasmen während der Schwangerschaft zu erkennen und durch eine entsprechende Therapie eine mögliche Schädigung des Feten zu verhindern, werden in einigen europäischen Ländern (zum Beispiel Frankreich, Osterreich) routinemäßig serologische Untersuchungen während der Schwangerschaft vorgenommen. Nach den Mutterschafts- Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sollen solche serologischen Untersuchungen nur bei begründetem Verdacht auf Toxoplasmose durchgeführt werden. Von der Einführung einer generellen Mehrfachuntersuchung auf IgM-spezifische Antikörper im Verlauf der Schwangerschaft hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen jedoch bisher offensichtlich deshalb abgesehen, weil eine ausreichend hohe Spezifität der ingesamt etwa 80 angebotenen Tests nicht durchgängig als gesichert gelten kann, so daß unter anderem in erheblichem Maße falsch oder fraglich positive Testergebnisse zu erwarten wären. Insofern ist hier eindeutig der Gesetzgeber gefordert, qualitätssichernde Vorgaben — zum Beispiel in Form einer Registrier- und Prüfpflicht — zu machen. Derartige Vorgaben befinden sich offensichtlich derzeit in Vorbereitung.

Sobald die Qualität der angebotenen Tests als gesichert angesehen werden kann, sollte der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen seine Beratungen zur Einführung eines Toxoplasmose-Screenings wieder aufnehmen. Unabhängig davon sollte allen Schwangeren geraten werden, mögliche Infektionsquellen zu meiden. Als solche Infektionsquellen kommen vorwiegend der Verzehr von rohem oder ungenügend erhitztem Fleisch (zum Beispiel Hackfleisch) — insbesondere vom Schwein — sowie mangelnde Hygiene bei Erd- und Gartenarbeiten (aufgrund des in der Erde vergrabenen, bis zu einem Jahr lang infektiösen Katzenkots) in Frage.

Testung auf HIV-2-Antikörper

In den Mutterschafts-Richtlinien ist fakultativ, das heißt mit Einwilligung der Schwangeren, eine Untersuchung auf HIV-Antikörper vorgesehen. Von diesem Angebot wurde im Jahre 1989 in 257 200 Fällen Gebrauch gemacht, was — bezogen auf alle Schwangerschaften — einer Inanspruchnahme von rund 40 Prozent entspricht. In jüngster Zeit wurde häufiger nachgefragt, ob nach den Regelungen in den Mutterschafts-Richtlinien sowohl die Untersuchung auf HIV-1-Antikörper als auch die Untersuchung auf HIV-2-Antikörper eingeschlossen werde. Hierzu muß zunächst angemerkt werden, daß die Prävalenz von HIV-2- Infektionen bei Schwangeren als extrem niedrig eingeschätzt werden kann, da von den rund 40 000 dem Bundesgesundheitsamt derzeit bekannten HIVInfektionen nur etwa 80 auf HIV-2 entfallen. Neben der fehlenden Relevanz der HIV-2-Infektion für die Schwangeren ergibt sich aus dieser niedrigen Prävalenz bei einem Screening zusätzlich das Problem eines sehr hohen Anteils falsch positiver Befunde.

Aus diesem Grunde kann die gezielte Untersuchung auf Antikörper gegen HIV-2 als Screening-Untersuchung im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge derzeit nicht empfohlen werden. Andererseits kann nichts eingewendet werden, wenn — wie bereits weitgehend praktiziert — kombinierte Tests zum Nachweis sowohl von HIV-1- als auch von HIV-2- Antikörpern eingesetzt werden, zumal diese Tests offensichtlich eine Empfindlichkeit (Sensitivität) von mehr als 99 Prozent für HIV-2-Antikörper besitzen und auch zum Screening von Spenderblut Verwendung finden. Daraus ergibt sich jedoch nicht die Berechtigung zur zweimaligen Berechnung der entsprechenden Gebührenordnungsposition (Nr. 134 BMA/E-GO), da in der betreffenden Leistungslegende von. der „Untersuchung auf HIV-Antikörper“ die Rede ist, so daß damit die Bestimmung auch von HIV-2-Antikörpern fakulativ erfaßt wird.

Screening auf Alpha-Fetoprotein im Serum

Offene Neuralrohrdefekte des Feten kommen in der Bundesrepublik Deutschland in einer Häufigkeit von etwa zwei Fällen auf 1000 Schwanger-  schaften vor. Davon entfallen rund die Hälfte auf die Mißbildungsform des Anenzephalus, die im Rahmen des ersten nach den Mutterschafts-Richtlinien vorgesehenen Ultraschall-Screenings zwischen der 16. und 20. Schwangerschaftswoche erkannt werden kann. Die andere Hälfte des Vorkommens offener Neuralrohrdefekte betrifft die Spina bifida aperta, die somit in der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls eine Inzidenz von etwa einem Fall auf 1000 Schwangerschaften aufweist. Dies bedeutet in bezug auf das Bundesgebiet, daß bei einer Geburtenzahl von jährlich etwa 600 000 mit rund 600 derart mißgebildeten Feten pro Jahr gerechnet werden muß. Aufgrund der derzeitigen Möglichkeiten in der Mutterschaftsvorsorge ist davon auszugehen, daß die Mißbildungsform der Spina bifida aperta im Rahmen des ersten Ultraschall-Screenings in der 16. bis 20. Schwangerschaftswoche nicht erkannt wird. Mit der Untersuchung auf Alpha- Fetoprotein im Serum der Mutter steht ein Testverfahren zur Verfügung, das in bezug auf die Erkennung von Feten mit Spina bifida aperta eine Sensitivität von ca. 70 Prozent und eine Spezifität von rund 98 Prozent aufweist. Aufgrund der Inzidenz der Spina bifida aperta in der Bundesrepublik von rund 1 Prozent aller Schwangerschaften und einer Spezifität des AFP-Tests von lediglich 98 Prozent müßte aufgrund eines generellen AFP-Screenings mit jährlich rund 12 000 falsch positiven Ergebnissen gerechnet werden.

Der daraus resultierende Vorhersagewert von ca. 3 Prozent bedeutet, daß von 100 Verdachtsfällen aufgrund eines positiven Testergebnisses im AFP-Screening nur drei Schwangere im Rahmen der weiterführenden Diagnostik tatsächlich die Gewißheit über ein mißgebildetes Kind erhalten, während demgegenüber 97 Schwangere zunächst unnötigerweise verunsichert würden. Ferner ist davon auszugehen, daß bei einem großen Teil der 12 000 Schwangeren mit falsch positivem Testergebnis eine Amniozentese durchgeführt würde. Dies beinhaltet, neben der körperlichen Belastung für die Schwangeren, die — wenn auch nur sehr geringe — Gefahr eines iatrogenen Aborts aufgrund eines falsch positiven Testergebnisses. Im übrigen führt auch die Bestätigung eines positiven Testergebnisses in den meisten Fällen zur Empfehlung eines Schwangerschaftsabbruchs, da eine intrauterine Behandlung von Feten mit Spina bifida aperta derzeit nicht möglich ist und die häufig schwer geschädigten Kinder zumeist relativ kurz nach der Geburt versterben. Schließlich kann als erwiesen angesehen werden, daß die Aussagekraft einer AFP-Untersuchung in hohem Maße abhängig ist von der richtigen Bestimmung des tatsächlichen Gestationsalters sowie von der exakten Laboranalytik in entsprechend ausgestatteten Laboratorien.

Angesichts der häufig bestehenden Unsicherheit hinsichtlich des Gestationsalters und der dezentralen Durchführung der AFP-Untersuchungen ist zu befürchten, daß unter Screening-Bedingungen noch mehr als 12 000 falsch positive Testergebnisse resultieren könnten. Offensichtlich hat der Bundesausschuß aus den genannten Gründen in der Vergangenheit von der Einführung eines generellen AFP-Screenings auf Neuralrohrdefekte abgesehen. Die Beratungen sollten dann wieder aufgenommen werden, wenn sich in der Einschätzung der beschriebenen Probleme wesentliche Änderungen ergeben, die im Ergebnis für die Einführung eines Screening-Angebots sprechen. Darüber hinaus bleibt die Möglichkeit, aufgrund anamnestischer (z. B. familiärer Belastung) oder klinischer Hinweise gezielte Bestimmungen des Alpha-Fetoproteins durchzuführen. Von dieser Möglichkeit wird offensichtlich zunehmend Gebrauch gemacht, wie die im Jahr 1989 zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen bundesweit durchgeführten 113 200 AFP-Bestimmungen in der Mutterschaftsvorsorge nahelegen. Dabei mag zusätzlich eine Rolle spielen, daß sich Alpha-Fetoprotein auch im Zusammenhang mit der Diagnostik der Trisomie 21 (Morbus Down) als zunehmend interessanter Parameter erweist. Auch dieser Aspekt der AFP-Bestimmung sollte daher vom Bundesausschuß weiter sorgfältig beobachtet werden.

Verfasser:
Dr. med. Erhard Eifer
Dr. med. Lothar Krimmel

Erstveröffentlichung:
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 87, Heft 37, 13. September 1990