Quo vadis, Bundesärztekammer?

ARZT & WIRTSCHAFT (2005)
Quo vadis, Bundesärztekammer?

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Für den 108. Deutschen Ärztetag, der Anfang Mai in Berlin stattfindet, hat die Bundesärztekammer einen besonderen Leckerbissen ins Programm aufgenommen: Es sollen Richtlinien für den IGeL-Markt entwickelt werden. Angeblich seien die Klagen über das Geschäftsgebaren von Ärzten so zahlreich, dass akuter Handlungsbedarf bestehe.

Wegen Abrechnungsbetrug die GOÄ abschaffen?

Die bislang bekannt gewordenen Überlegungen zeugen allerdings von wenig Sachverstand bei den IGeL-Kritikern. Da wird Edelsteinmedizin mit Reisemedizin vermischt und Nosodentherapie mit Neuraltherapie. Selbst der Präsident der Bundesärztekammer trägt nicht gerade zur Versachlichung bei, wenn er als Beispiel für den Interventionsbedarf im IGeL-Markt die Werbefeldzüge der Schönheitschirurgen anführt. Das ist etwa so, als würden die privaten Krankenversicherer wegen der Abrechnungskunststücke einiger Chefärzte die Abschaffung der GOÄ fordern.

Einen Vorgeschmack auf die anstehenden Funktionärsdebatten gab kürzlich die Hauspostille der Bundesärztekammer, das Deutsche Ärzteblatt. Der in Heft acht erschienene Artikel zum IGeL-Markt spiegelt ganz überwiegend die Vorurteile der Autoren wider. Offensichtlich sollte mit diesem Beitrag der IGeL-Markt für Interventionen seitens der Ärztekammern verbal reifgeschossen werden. Mit keinem Wort wurde der wichtigste Grund für die Entwicklung eines zweiten Gesundheitsmarkts erwähnt, nämlich der Anspruch der Menschen auf individuelle Optimierung der Gesundheit und des Lebensgefühls, und zwar unabhängig von kollektiven Finanzierungsfragen und kollektiven Kosten-Nutzen-Überlegungen.

Auch das Hauptargument der verkammerten IGeL-Gegner ist wenig überzeugend: Der Arzt dürfe  das Vertrauensverhältnis zum Patienten nicht für eigene ökonomische Interessen ausnutzen. Ganz so, als habe es niemals zuvor in der Geschichte der Ärzteschaft einen Zusammenhang zwischen ärztlichem Behandlungsumfang und ärztlichem Honorar gegeben, wird dieser Grundkonflikt nun dem IGeL-Markt angelastet. Ein solch absurdes Verständnis ärztlicher Berufstätigkeit ist eigentlich nur damit erklärbar, dass die Geiz-ist-geil-Mentalität inzwischen auch die Lufthoheit über den Funktionärsstammtischen erobert hat.

Grundgesetz, Berufsrecht, Vertragsarztrecht, Wettbewerbsrecht, Heilmittelwerbegesetz, AGB-Gesetz: Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den IGeL-Markt sind absolut ausreichend und bedürfen keiner Ergänzung. Jede Ergänzung stellt vielmehr eine klare Diskriminierung des zweiten Gesundheitsmarktes dar und spielt damit Krankenkassen und ideologisch verirrten Politikökonomen in die Hände.

Außerdem: Wer über Jahre hinweg die zunehmende Drangsalierung der Ärzte durch Rationierung und Budgetierung fast kommentarlos hingenommen hat, dem fehlt schlichtweg die Legitimation, die strategischen Gegenbewegungen der Ärzteschaft zu torpedieren und in die Grundfreiheiten von Patienten und Ärzten einzugreifen. Der Ruf der Ärzteschaft wird durch abstruse IGeL-Artikel in Ärztlichen Hauspostillen vermutlich mehr beschädigt als dies vermeintlich unseriöse IGeL-Ärzte jemals tun könnten.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Quo vadis, Bundesärztekammer? – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 04/2005

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