Rationalisierung und Rationierung: Zu ihrer Notwendigkeit in einer sozialen Krankenversicherung

Forum für Gesellschaftspolitik (1996)

Rationierung von Gesundheitsleistungen

Mit der Diskussion um ein Beitragsentlastungsgesetz hat im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine Diskussion um Möglichkeiten und Gefahren einer Rationierung von Gesundheitsleistungen eingesetzt. Diese Diskussion hat teilweise hysterische Züge angenommen, insbesondere wenn das Zerrbild einer angeblich bevorstehenden „Zwei-Klassen-Medizin“ heraufbeschworen wurde. Vor diesem Hintergrund sei zunächst folgendes festgestellt: Wenn Ende des 20. Jahrhunderts eines der immer noch reichsten Industrieländer der Welt 9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Gesundheitsversorgung ausgibt und wenn in diesem Land ferner aufgrund eines gut funktionierenden Sozialsystems nahezu 100 Prozent der Bevölkerung einen umfassenden Krankenversicherungsschutz genießen, so sind in bezug auf das Gesundheitswesen dieses Landes Begriffe wie „Rationierung“ und „Zwei-Klassen-Medizin“ abwegig.

Akzeptabler Beitragssatz

Wer solche Begriffe dennoch in die gesundheitspolitische Diskussion einbringt, der verrät, daß es ihm nicht um den Erhalt des Gesamtsystems, sondern eher um das Verteidigen von Besitzständen geht. Zeitweise gewinnt man den Eindruck, daß jedem, der sich um den Erhalt einer solidarisch finanzierten Krankenversicherung auch im 21. Jahrhundert Gedanken macht, das Ziel einer Abschaffung des Sozialstaates unterstellt wird. Dabei wird offensichtlich bewußt verdrängt, daß eine solidarische Krankenversicherung mit Pflichtmitgliedschaft nur solange den gesellschaftlichen Grundkonsens widerspiegelt, wie dies die Möglichkeiten der „Nettozahler“, insbesondere also der freiwillig Versicherten, nicht übersteigt und diesen ein akzeptabler Beitragssatz angeboten werden kann (Abbildung 1).
Abb. 1: Bedingungsgefüge einer solidarischen Krankenversicherung mit Pflichtmitgliedschaft

  • solidarische Finanzierung
  • akzeptabler Beitragssatz
  • vernünftiger Leistungskatalog

Man muß nicht einmal das Argument der angeblich den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdenden Einflüsse hoher Beitragssätze auf die Lohnnebenkosten bemühen, um sich auszurechnen, daß ein durchschnittlicher Beitragssatz jenseits von 15 Prozent des Bruttoeinkommens die Grundfesten einer solidarischen Krankenversicherung ins Wanken bringen muß. Aus diesem Grunde trägt jeder sinnvolle Vorschlag zur Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen weitaus mehr zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung bei, als dies das Abblocken von Diskussionen etwa über den Leistungskatalog der Krankenkassen oder das Anspruchsniveau der deutschen Versicherten jemals tun könnte (Abbildung 2).

Abb. 2: Verantwortlichkeit bei der Rationalisierung im Gesundheitswesen

Systembeteiligte     Ansatzpunkte
Gesetzgeber Leistungskatalog überprüfen
Krankenkasse Leistungspraxis revidieren
Patient Anspruchsdenken reduzieren
Kassenarzt Wirtschaftlichkeit erhöhen

Begriffsdefinition „Rationalisierung“„Rationierung“

Zur Versachlichung der Diskussion kann der Versuch einer Begriffsdefinition beitragen: „Rationierung“ im Gesundheitswesen kann verstanden werden als das Vorenthalten von Gesundheitsleistungen, die objektiv notwendig für die Linderung oder Heilung bei solchen Krankheiten sind, welche das Individuum vital bedrohen oder seine Lebensqualität dauerhaft oder – falls vorübergehend – zumindest gravierend beeinträchtigen.

In Anlehnung an diese Definition bedeutet „Zwei-Klassen-Medizin“ ein solches Versorgungssystem, in dem aufgrund von unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der Individuen für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe Gesundheitsleistungen rationiert werden, während dies für andere nicht der Fall ist. Im Unterschied hierzu kann der weite Bereich der Erschließung von Systemreserven, auch „Rationalisierung“ genannt, definiert werden als der Versuch einer Vermeidung von Rationierung durch Maßnahmen, welche weder Gesundheit noch Lebensqualität des Individuums beeinträchtigen, sondern allenfalls mit zumutbaren Einschränkungen verbunden sind. Allerdings muß zugegeben werden, daß die Grenzen zwischen der Rationalisierung und der Rationierung von Gesundheitsleistungen durchaus fließend sind, wie sich bereits aus dem Versuch einer beispielhaften Abgrenzung ergibt (Abbildung 3).
Abb. 3: Beispiele von Rationalisierung und Rationierung im Gesundheitswesen

Leistungs-bereich „Rationalisierung“ „Rationierung“
ambulante Versorgung Selbstbeteiligung bei Direktinanspruchnahme bestimmter Facharztgruppen fachärztliche Versorgung nur am Krankenhaus
operative Medizin Verlagerung in ambulante Versorgung Angebotsverknappung mit
Wartelisten
Arzneimittel Ausschluß „umstrittener“ Arzneimittel Ausschluß innovativer Arzneimittel
Massagen Hohe Selbstbeteiligung Leistungsausschluß, Antragsverfahren
Dialyse Zurückfahren des Betreuungsaufwandes Ausschluß ab Altersgrenze

Auch wird die Definitionsmacht gerade hinsichtlich der Grenzziehung zwischen Rationalisierung und Rationierung nicht selten zur Durchsetzung höchst eigennütziger Ziele mißbraucht.
So kann die Einführung einer Selbstbeteiligung für die Direktinanspruchnahme bestimmter Facharztgruppen auch als Maßnahme der Rationierung verstanden werden, da der Zugang zur fachärztlichen Versorgung hierdurch jedenfalls reguliert wird. In der internationalen Diskussion werden derartige Modelle dagegen zunehmend als Beitrag zur Rationalisierung gewertet, da sie sowohl bei der irrationalen Facharztwahl durch den Patienten als auch bei der symptombezogenen Diagnose- und Therapiestrategie von Fachärzten ansetzen und auf diese Weise die Versorgungskosten offensichtlich deutlich reduzieren, ohne daß das objektivierbare Behandlungsergebnis schlechter wäre. Eher als Rationierung wäre dagegen die Verlagerung der fachärztlichen Versorgung an das Krankenhaus zu werten, da durch die Verknappung von mehr als 50.000 auf weniger als 3.000 fachärztliche Versorgungsstandorte der Zugang zur fachärztlichen Versorgung allein durch die Wohnortferne erheblich erschwert würde.

Auch wenn im Hinblick auf den aktuellen Versorgungsstand Maßnahmen der Rationierung allenfalls vor dem Hintergrund einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Depressionsphase zu diskutieren wären, stellt sich die Situation mittelfristig nicht nur aufgrund der demographischen Entwicklung, sondern insbesondere angesichts des dramatischen medizinischen Fortschritts in allen nur denkbaren Bereichen deutlich komplexer dar. Bereits heute ist absehbar, daß bestimmte medizinische Entwicklungen die Möglichkeiten einer Bereitstellung in Sozialversicherungssystemen übersteigen werden. So werden in wenigen Jahren Arzneimittel zur Verfügung stehen, die bei regelmäßiger „präventiver“ Einnahme, d.h. ohne Vorliegen von Risikofaktoren oder gar Krankheitssymptomen, das Risiko für bestimmte lebensbedrohende Erkrankungen reduzieren und damit die Lebenserwartung erhöhen. Bei den zu erwartenden Entwicklungskosten und damit auch Preisen für solche Arzneimittel ist es illusorisch zu glauben, daß eine kollektive Finanzierung mit den notwendigerweise begrenzten Mitteln einer sozialen Krankenversicherung in Einklang gebracht werden könnte. Der medizinische Fortschritt wird insoweit – wenn auch nicht bereits in den nächsten Jahren, so doch mittel- und langfristig – ein Konfliktpotential aufbauen, das unweigerlich in Überlegungen zur Rationierung von Gesundheitsleistungen münden muß.

Individuelle Gesundheitsleistungen

Hiervon abzugrenzen ist, daß eine ganze Reihe neuerer Entwicklungen in starkem Maße individuelle Gesundheitsbedürfnisse ansprechen, die einer kollektiven Bereitstellung im Grunde gar nicht zugänglich sind. Zu diesen Bereichen zählen beispielsweise die Umweltmedizin oder die prädiktive Gendiagnostik. So wird etwa die Gendiagnostik in absehbarer Zeit die Möglichkeit bieten, Kenntnis über das individuelle Vorhandensein von Genen zu erlangen, die mit einem höheren Risiko für das Auftreten von Krankheiten wie Brustkrebs oder Morbus Alzheimer verbunden sind. Der medizinische Sinn einer solchen Diagnostik ist zweifelhaft, da sich therapeutische Konsequenzen nach derzeitigem Stand praktisch nicht ergeben. Darüber hinaus möchte ein relevanter Teil der Bevölkerung überhaupt nicht wissen, ob eine entsprechende genetische Belastung vorliegt. Ein anderer Teil der Bevölkerung dagegen wird die entsprechende Gewißheit erwerben wollen, entweder um sich bei positivem Testergebnis entsprechend in der Lebensplanung einstellen zu können oder aber um bei negativem Ergebnis das persönliche Wohlbefinden mit der Erkenntnis zu steigern, daß für die betreffenden Erkrankungen jedenfalls kein erhöhtes genetisches Risiko vorliegt. Derartige Befindlichkeitswünsche, die stark in die persönliche Lebensplanung hineinreichen und wenig mit Gesundheitsversorgung zu tun haben, sind für eine finanzielle Absicherung in Sozialversicherungssystemen gerade in Zeiten begrenzter Ressourcen nicht geeignet, ohne daß deswegen von Rationierung von Gesundheitsleistungen gesprochen werden könnte.

Da es sich somit um individuelle Gesundheitsbedürfnisse ohne objektivierbare Auswirkungen auf den Gesundheitszustand handelt, können derartige Leistungen auch nur individuell finanziert werden. Das Spektrum dieser individuellen Gesundheitsleistungen mit Konsumcharakter wird bereits in naher Zukunft deutlich zunehmen. Es sollte gemeinsames Anliegen aller Partner im Gesundheitswesen sein, den Konsumcharakter solcher auf individuelle Gesundheits- und Sicherheitsbedürfnisse zugeschnittenen Angebote herauszustreichen und dabei zu vermitteln, daß ein Anspruch auf Bereitstellung dieser Leistungen in einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht bestehen kann. Das Bewußtsein, daß bestimmte Gesundheitsleistungen ausschließlich individuell zu finanzieren sind, könnte gleichzeitig dazu beitragen, eine Besinnung auf die Eigenverantwortlichkeit zu fördern und die in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich übersteigerte Anspruchsmentalität zurückzufahren.

Es steht auch kaum zu erwarten, daß eine stärkere Differenzierung der Befriedigung individueller Gesundheitsbedürfnisse außerhalb einer gesetzlichen Krankenversicherung zu einer „Entsolidarisierung“ der Gesellschaft führen könnte. So ist den Deutschen als einem Volk von Autofahrern z.B. durchaus bekannt, daß eine schwere Limousine, die zusätzlich mit Airbag und ABS ausgestattet ist, wesentlich höhere Chancen bietet, einen Verkehrsunfall zu überleben, als Klein- oder Kompaktwagen ohne entsprechende Ausstattung. Dennoch dürften nur sehr wenige Autofahrer auf die Idee kommen, die Finanzierung einer schweren Limousine oder auch nur eines Airbags zur effektiven „Prävention“ von Unfallverletzungen als – möglichst zuzahlungsfreie – Regelleistung einer gesetzlichen Krankenversicherung zu fordern. Unbeschadet des Umstands, daß die Finanzierung individueller Gesundheitsleistungen aus dem medizinischen Umfeld auch in Zukunft kaum auf dem Preisniveau des PKW-Erwerbs angesiedelt sein dürfte, kommt ein weiteres hinzu: Die in Deutschland für die Befriedigung von Konsumbedürfnissen zur Verfügung stehenden Finanzmittel sind größer als in den meisten anderen Ländern. Wer Geld für Saunabesuche und Fitness-Studios ausgibt, der hat auch Mittel, um die Schadstoffbelastung durch einen neu gekauften Wohnzimmerschrank überprüfen oder eine mögliche genetische Belastung im Hinblick auf den Morbus Alzheimer untersuchen zu lassen.

Leistungskatalog überprüfen

Was den aktuellen Leistungskatalog der GKV betrifft, so haben sich die Krankenkassen anläßlich der Diskussion eines Beitragentlastungsgesetzes vehement gegen die Ausklammerung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung zur Wehr gesetzt. Auch hier war schnell das Wort von der „Zwei-Klassen-Medizin“ bei der Hand. Die Thematik verdient jedoch eine weitergehende Analyse. So waren es die Krankenkassen selbst, die – trotz wiederholter vorausgehender Warnungen des Bundesministers für Gesundheit – durch eine wettbewerbsbedingt ungezügelte Praxis der Leistungsgewährung, einschließlich der Finanzierung medizinischen Humbugs, den Bogen überspannt und die auf diese Weise entstellte „Gesundheitsförderung“ aus dem Leistungskatalog einer solidarisch finanzierten Pflichtversicherung hinauskatapultiert haben.

Darüber hinaus muß ganz grundsätzlich angemerkt werden, daß selbst die sogenannten „etablierten“ Maßnahmen von Gesundheitsförderung die Eigenverantwortung der Versicherten sogar eher schwächen können. Zwischenzeitlich ähnelt nämlich nicht etwa nur die kurative Medizin, sondern gerade die von den Krankenkassen denaturierte Gesundheitsförderung einem „Reparaturbetrieb“ – mit dem Unterschied vielleicht, daß sich dieser Reparaturbetrieb nicht auf Krankheiten, sondern auf gesundheitsschädigendes Fehlverhalten bezieht. Fehlernährung wird kaum noch als Bereich der persönlichen Verantwortung für das Gesundheitsverhalten angesehen, da die Krankenkasse ja in jedem Fall die Abmagerungskurse übernimmt. Wenn dieser Verhaltensreflex durch die Herausnahme der Gesundheitsförderung aus der solidarisch finanzierten Krankenversicherung modifiziert werden kann, so hätte das Beitragsentlastungsgesetz jedenfalls in diesem Punkt auf lange Sicht sogar eine gesundheitsfördernde Wirkung. Da gleichzeitig die Kostenseite deutlich entlastet würde, läge die klassische Form einer Rationalisierungsmaßnahme vor.

Für die Krankenkassen selbst ist eine Überprüfung der kostentreibenden Effekte des eigenen Leistungsverhaltens offensichtlich tabu. Auch Versuche zur Überprüfung des
Leistungskatalogs der GKV werden in aller Regel eilfertig als „Sozialabbau“ und „Einstieg in die Zwei-Klassen-Medizin“ diskreditiert, da sie dem Ruf der Krankenkassen als „Big Spender“ für alle denkbaren Gesundheitsbedürfnisse schaden könnten. Statt dessen werden Rationalisierungsreserven ausschließlich bei den sogenannten Leistungserbringern gesehen. Die Ersatzkassenverbände sehen hierbei Einsparpotentiale in der Größenordnung von 25 Mrd. DM. Ihr Konzept zur Erschließung dieser Reserven hat sich bei Teilen der gesetzlichen Krankenkassen als ultimative Stilblüte eines theoriestrotzenden Gesundheitsdarwinismus etabliert. In der Ausbaustufe soll die Gesundheitsversorgung von 70 Millionen Menschen zum Objekt spieltheoretischer Simulationsversuche gemacht werden. Kernpunkt der Überlegungen ist, das Versicherungsrisiko von der Krankenversicherung auf die Kassenärzte zu übertragen. Dieses Konzept ist insoweit konsequent, als es die notwendigen Schlußfolgerungen aus der Tatsache zieht, daß die Krankenkassen überall dort versagt haben, wo sie – wie im Fall von Kuren oder Gesundheitsförderung – eine direkte Ausgabenverantwortung tragen. Übersehen haben die Befürworter dieser Idee allerdings, daß sich eine gesetzliche Krankenversicherung mit den tragenden Elementen der solidarischen Finanzierung und der Pflichtmitgliedschaft bei Verwirklichung dieses Konzepts selbst überwindet, was gegebenenfalls hinzunehmen wäre. Ungleich weniger sozialverträglich dürfte dagegen sein, daß ausgerechnet in Zeiten zunehmender sozialer Spannungen die vermittelnde und ausgleichende Funktion eines kollektiven Vertragssystems preisgegeben und das Gesundheitswesen in eine ungewisse Zukunft entlassen würde.

Die Gesundheitspolitik wird aus diesem Grunde nicht umhin können, den Leistungskatalog der Krankenkassen im Hinblick auf eine maximale Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven zu überprüfen. In Abbildung 4 ist ein entsprechendes Maßnahmenbündel für den Bereich der Arzneimittel- und Heilmittelversorgung vorgestellt.

Abb. 4: Einsparmöglichkeiten im Bereich verordneter Leistungen durch Rationalisierung / Rationierung

I.    Arzneimittel (Einsparpotential: 8 Mrd. DM pro Jahr)

  1. Ausgliederung umstrittener Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV;
  2. Ausgliederung der öffentlich beworbenen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV;
  3. Aufnahme neuer Arzneimittel in den Leistungskatalog der GKV nur aufgrund entsprechenden Beschlusses des Bundesausschusses;
  4. Wegfall der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel aus dem GKV-Leistungskatalog.

II.    Heilmittel (Einsparpotential: 2,5 Mrd. DM pro Jahr

  1. Ausgliederung von Massagen aus dem Leistungskatalog der GKV; ausnahmsweise Leistungsgewährung durch Einzelentscheidung der Krankenkasse in medizinisch dringenden Fällen;
  2. Gewährung von Krankengymnastik nur im Zusammenhang mit einem von der Krankenkasse genehmigten Rehabilitationsplan;
  3. Durchführung von Ergotherapie und Logopädie nur nach Einzelgenehmigung durch die Krankenkasse im Antragsverfahren.

Es wird offensichtlich, daß erhebliche Einsparreserven für den Fall bestehen, daß die Gesundheitspolitik sich ihrer Aufgabe stellt, Entscheidungen über den Umfang des Leistungskatalogs auch tatsächlich zu treffen, anstatt aus wirtschaftspolitischen Erwägungen ausgabensteigernde Rahmenbedingungen zu setzen und sich dann quartalsweise darüber zu wundern, warum die Ausgaben – obwohl unter diesen Rahmenbedingungen gar nicht anders möglich – gestiegen sind.

Die Krankenkassen schließlich müssen künftig stärker als bisher in die Leistungsentscheidung eingebunden werden, da die Verschiebung der Entscheidungsverantwortung auf die Individualebene des Arzt-Patienten-Verhältnisses zwar möglicherweise gut für das eigene Image, jedoch nachweislich insuffizient für eine wirksame Ausgabensteuerung ist. Erst wenn die Krankenkassen verinnerlicht haben, daß ihre „versichertenfreundlichen“ Leistungsentscheidungen Ausdruck desselben Wettbewerbsverhaltens sind, das zu „patientenfreundlichen“ Verordnungsentscheidungen des Arztes führt, ist der Weg frei für eine rationale, nicht auf die Verschiebung von Verantwortlichkeiten abzielende Analyse der notwendigen Steuerungsmaßnahmen im Gesundheitswesen. Ob die dann als Kompromiß zwischen optimaler Patientenversorgung und Erhalt der Finanzierbarkeit einer sozialen Krankenversicherung gefundenen Lösungen eher als Rationalisierung oder doch als Rationierung verstanden werden, ist dann nur noch von untergeordneter Bedeutung.

Verfasser
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Rationalisierung und Rationierung: Zu ihrer Notwendigkeit in einer sozialen Krankenversicherung. In: Forum für Gesellschaftspolitik (Verlag Broll & Lehr, Bonn), September 1996.

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