Stalins langer Schatten

ARZT & WIRTSCHAFT (2003)
Stalins langer Schatten

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Wer die faszinierende Begrenztheit der gesundheitspolitischen Vorstellungs- und Begriffswelt von Ulla Schmidt zu kennen meint, wird doch immer wieder aufs Neue von ihren fundamentalen gedanklichen Eruptionen überrascht. So soll kürzlich im Gesundheitsministerium zur Sprache gekommen sein, dass im Rahmen der anstehenden Reform sich die Überlegenheit der Privaten Krankenversicherung (PKV) zeigen könnte – nämlich dann, wenn den Patienten klar wird, dass eine moderne Versorgung ohne Rationierungsgefahren nur noch dort abgesichert werden kann.

„Dann werden wir die PKV eben verbieten!“, soll die Bundesgesundheitsministerin trotzig erwidert haben. Selbst eigene Mitarbeiter waren wohl erstaunt darüber, dass Stalins langer Schatten offensichtlich bis in die Printenmetropole Aachen reicht und deren kurzfristig prominenteste Mitbürgerin nicht verschont hat. Für diesen skandalösen Ausrutscher der Noch-Ministerin gibt es wohl nur eine Entschuldigung: Auch für den Gedanken der Abschaffung der Privaten Krankenversicherung steht mit Karl Lauterbach der wahrscheinlich ahnungsloseste Gesundheitsökonom der Welt Pate.

Heute rächt sich ganz offensichtlich ein tragisches Versäumnis der PKV: Wer über Jahrzehnte hinweg die „guten Risiken“ der GKV ausschließlich mit dem Argument anspricht, ein Wechsel in die PKV spare vor allem Geld, der stellt seine gesamte Existenz auf tönerne Füße und darf sich über die jetzige ultimative politische Gegenwehr gegen ein weiteres finanzielles Ausbluten der GKV nicht wundern.

Spätestens jetzt muss die PKV daher ihre argumentative Sprachlosigkeit überwinden und den Bürgern ihre wahren Stärken zeigen: exklusiver privatärztlicher Praxis-Service, besonders intensive ärztliche Zuwendung, optimaler Behandlungsstil ohne Rationierungsgefahren, modernste Behandlungsverfahren, Berücksichtigung individueller Komfortwünsche und so weiter. Wer den Bürgern diese offensichtlichen Vorteile einer Privatbehandlung durch gesetzliche Intervention vorenthalten will, verstößt in elementarer Weise gegen das in Artikel zwei des Grundgesetzes verankerte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit!

Die Ärzte haben allen Grund, die PKV in den anstehenden Auseinandersetzungen zu unterstützen. Dies betrifft sowohl den Fortbestand der privaten Vollversicherung als auch die Frage, wo künftig private Zusatzversicherungen angesiedelt werden. Hier sollten sich die Doktoren nichts vormachen: Zusatzversicherungen unter der Ägide der GKV bedeuten Qualitätsverlust und Dumpingpreise.

Schon heute tendiert der Gewinn aus kassenärztlicher Tätigkeit in den meisten Praxen gegen Null. Das Einkommen wird weitgehend nur noch aus der Privatbehandlung erwirtschaftet. Würde die PKV im Kern getroffen, können die Ärzte unter dem Preisdiktat der GKV mehr als 60 Prozent ihrer heutigen Privateinnahmen in den Wind schreiben. Wer in dieser Situation als Ärztefunktionär meint, einer Voll- und Zusatzversicherung ausschließlich unter dem Dach der GKV das Wort reden zu müssen, sollte im Interesse seiner Kollegen lieber vorher den Hut nehmen.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Stalins langer Schatten – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 03/2003

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