Es gibt nur einen Vorschlag, nur eine Lösung: Waffenstillstand jetzt!

Tichys Einblick (2022)

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med Lothar Krimmel seit 2019

Die ukrainische Führung hat nicht mit einem russischen Einmarsch gerechnet und Putin-Russland hat die ukrainische Gegenwehr und die internationale Solidarität mit der Ukraine unterschätzt. Die Ukraine wird den Aggressor nicht besiegen können.

Der Autor kennt die Ukraine aus zahlreichen Besuchen und hat viele Kontakte dorthin. Für ihn gibt es nur eine einzige Lösung, um eine humanitäre und geopolitische Katastrophe zu verhindern: Die Weltgemeinschaft muss das kurze Zeitfenster der Neuorientierung beider Seiten nutzen, um einen sofortigen Waffenstillstand durchzusetzen und eine internationale Ukraine-Konferenz einzuberufen.

Ja, beide Seiten haben sich verrechnet: Die ukrainische Führung hat nicht mit einem russischen Einmarsch gerechnet und Putin-Russland hat die ukrainische Gegenwehr und die internationale Solidarität mit der Ukraine unterschätzt. Derzeit sortieren sich beide Seiten neu. Dabei steht eines fest: Die Ukraine wird den Aggressor nicht besiegen können, auch nicht mit Waffenhilfe und internationaler Isolation Russlands.

Daher sind jetzt zwei Dinge vordringlich: erstens der sofortige Stopp des kriegerischen Tötens in Europa und zweitens die unbedingte Vermeidung einer atomaren Eskalations-Katastrophe.

Die derzeitige Strategie von EU und NATO ist in dieser Hinsicht nicht zielführend. Auch wenn die moralische und logistische Unterstützung der Ukraine ethischen Grundsätzen zu gehorchen scheint, so ist sie im Ergebnis nicht frei von Zynismus: Man nimmt Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende von Opfern in Kauf, und am Ende steht dennoch die militärische Niederlage eines ruinierten Landes.

EU und NATO sitzen wie die Zuschauer im antiken Colosseum und feuern die unterlegenen Gladiatoren an. Ab und zu werfen sie ihnen Waffen zu und schmähen die zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, mit der Folge, dass sie noch länger dem beiderseitigen Abschlachten und der zunehmenden Verrohung der Auseinandersetzung zusehen müssen. Und die Begründung ist nicht minder zynisch: Man will den „Preis“ hochtreiben, den Putin-Russland für die Aggression bezahlen soll.

Russland muss und wird nunmehr militärisch nachlegen. Alle vergleichbaren historischen Konflikte haben gezeigt, dass die Verbissenheit und die Brutalität der Auseinandersetzungen fast täglich zunehmen. Und mit den Opferzahlen steigen die seelischen Wunden der Menschen und der Völker.

Putin hat den Widerstand der Ukrainer unterschätzt. Sicher ist aber auch, dass westliche Gesellschaften die Leidensfähigkeit und den Patriotismus der Russen unterschätzen. Und geradezu menschenverachtend ist es, wenn der heldenhafte Opfergang Zehntausender von ukrainischen Soldaten und Zivilisten vom Westen bewusst in Kauf genommen wird, um auf einen Regimewechsel in Russland hinzuarbeiten.

Die Angehörigen der „letzten Generation“, die jedes Methanmolekül im Hintern einer Kuh zählen, um ihre klimatologischen Endzeitphantasien auszuleben, finden plötzlich nichts dabei, dass die größte Atomstreitmacht der Erde destabilisiert werden soll. Ja: Ein Atomkrieg würde die Erde massiv erkalten lassen. Aber das kann nicht die Antwort auf den Klimawandel sein!

Putin ist angeschlagen, aber er wird diesen Krieg zu Ende bringen. Und je härter seine Opfer sein werden, umso härter wird der Preis sowohl für die Ukraine sein als auch für die Sicherheitsarchitektur der Welt. 200.000 Tote, 5 Millionen Flüchtlinge, die weitgehende Einverleibung einer zerstörten Ukraine und ein neuer Kalter Krieg zwischen der um die Rest-Ukraine erweiterten NATO auf der einen und Russland/China auf der anderen Seite werden dann das Leben der nächsten Generation bestimmen. All das kann (noch) verhindert werden.

Das Wochenende mag wichtig gewesen sein, um Russland die Folterwerkzeuge der totalen Isolation aufzuzeigen. Aber ab heute darf es nur noch eine Forderung geben, nämlich die nach sofortigem Waffenstillstand.

Nach der fatalen Logik des Krieges kann es sich keine Seite leisten, einen einseitigen Waffenstillstand anzubieten. Deshalb muss die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand und Einberufung einer internationalen Ukraine-Konferenz von außen kommen. In diesem Fall wahrhaft von der gesamten Weltgemeinschaft, insbesondere aber von EU und USA.

Es ist verstörend zu verfolgen, dass zwischen den Kriegsparteien ein Treffen zur Auslotung eines Waffenstillstandes stattfindet und dass keine einzige westliche Stimme dieses Anliegen unterstützt.

Für Putins sicherheitspolitisches Kernanliegen kann es trotz seines revisionistischen Narrativs und trotz des Tabubruchs eines Angriffskrieges eine Verhandlungslösung geben. Am Ende einer Friedenskonferenz könnten im Donbass und auf der Krim Volksabstimmungen unter UN-Aufsicht stattfinden. Und mit einer dauerhaft neutralen Ukraine, in der die Russisch-sprachige Minderheit geschützt ist, könnte der konkrete Fahrplan zur EU-Mitgliedschaft erörtert werden. Auch Russland muss eine Option zur gesichtswahrenden Rehabilitierung eingeräumt werden – mit oder ohne Putin. Ein dauerhafter Frieden in Europa ist jedes Opfer wert.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Es gibt nur einen Vorschlag, nur eine Lösung: Waffenstillstand jetzt! –  In: Tichys Einblick, 01.03.2022

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