„Zuweiser profitieren vom Labor-Wettbewerb“

Ärzte Zeitung (2004)

INTERVIEW

INGELHEIM. Haus- und Fachärzte, die eng mit Laborärzten zusammenarbeiten, dürfen sich freuen: Sie können davon profitieren, daß der Wettbewerb im Labormarkt in den nächsten Jahren noch dynamischer wird. Davon ist Dr. Lothar Krimmel, Geschäftsführer beim Labordienstleister Bioscientia in Ingelheim, überzeugt. Wie sich aus seiner Sicht die Laborlandschaft verändern wird, welche Konsequenzen dies für Zuweiser haben kann und warum die Labore eine Schlüsselrolle bei integrierten Versorgungsprojekten einnehmen – darüber sprach Martin Schwarzkopf von der „Ärzte Zeitung“ mit Krimmel.

Dr. Lothar Krimmel hat eine neue Herausforderung gesucht und gefunden: Nachdem die von ihm gegründete MedWell AG im Jahre 2003 mehrheitlich von der DKV übernommen wurde, ist der Facharzt für Allgemeinmedizin seit diesem Jahr Geschäftsführer des Labordienstleisters Bioscientia in Ingelheim, einem der ganz großen Player im deutschen Labormarkt. Der 47jährige war fast 14 Jahre bis 1999 für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) tätig, zuletzt als streitbarer stellvertretender Hauptgeschäftsführer. In dieser Zeit entwickelte er unter anderem auch das Konzept für Zusatzangebote in Arztpraxen, für die Kassenpatienten selbst bezahlen (IGeL). Bei Bioscientia verantwortet er in der Geschäftsführung die Bereiche Unternehmensstrategie sowie Marketing und Vertrieb.

„Ärzte Zeitung“: Herr Dr. Krimmel, Haus- und Fachärzte erleben derzeit einen Umbruchprozeß im Gesundheitswesen, der unmittelbare Konsequenzen für ihren Arbeitsalltag hat. Wird es denn auch in der Zusammenarbeit mit den Laborpartnern Verwerfungen geben?

Krimmel: Die Labormedizin wird auf absehbare Zeit einem permanenten Veränderungsdruck unterliegen. Davon werden natürlich insbesondere die Laborärzte, aber auch alle anderen Kollegen betroffen sein. Wie lange wir zum Beispiel noch die Laborgemeinschaften mit all ihren Vorteilen für die beteiligten Kollegen gegen die zunehmenden Angriffe aus den Reihen der Krankenversicherung verteidigen können, bleibt abzuwarten. Insgesamt müssen wir uns im Labormarkt wohl vor allem auf einen anhaltenden Preisdruck einstellen.

„Ärzte Zeitung“: Wird dies dazu führen, daß kleinen Laborarztpraxen die Luft ausgeht und den Zuweisern nur noch wenige Große als Partner zur Verfügung stehen?

Krimmel: Natürlich wird der Zwang zu immer effizienterer Leistungserbringung eher die Tendenz zur Größe befördern. Angesichts der ohnehin geringen Gewinnmargen in der Laborvergütung würde zum Beispiel bereits eine Begrenzung der GOÄ-Abrechnung auf den 1,0fachen Satz manches kleinere Labor vor existentielle Probleme stellen. Auch die Großen im Markt werden daher weiter Ausschau nach Kooperations- oder auch Fusionspartnern halten. In einem realistischen Szenario wird es im Jahre 2010 noch etwa 50 Player unterschiedlichster Größe im deutschen Labormarkt geben. Dazu werden selbstverständlich auch gut geführte Regionallabors mit schnellen Befundzeiten und exzellentem Vor-Ort-Service gehören.

„Ärzte Zeitung“: Nochmals nachgefragt: Ein weiterer Konzentrationsprozeß, den sie ja auch nicht ausschließen, hätte doch Nachteile für die Zuweiser?

Krimmel: Nein, auf keinen Fall. Ich bin ganz im Gegenteil davon überzeugt, daß der Wettbewerb um die zuweisenden Ärzte in den nächsten Jahren noch deutlich an Dynamik gewinnen wird. Da die reine Labordienstleistung austauschbar geworden ist, wird sich dieser Wettbewerb ganz zwangsläufig auf andere Bereiche verlagern. Das betrifft insbesondere die Verbesserung unserer Service-Angebote auf allen Ebenen. Das Spektrum reicht hier von Kooperationen beim Bezug des Praxisbedarfs über fortschrittliche privatmedizinische Konzepte bis hin zu gemeinsamen Projekten in der integrierten Versorgung. Die Zuweiser werden also ganz bestimmt die Gewinner dieser Entwicklung sein.

„Ärzte Zeitung“: Sehen Sie die Gefahr, daß es durch den verschärften Wettbewerb auch zu illegalen Praktiken kommen könnte, wie zum Beispiel dem Gewähren von Bargeldprämien für die Zuweiser bei Speziallabor-Aufträgen?

Krimmel: Ich kann nicht ausschließen, daß es rechtswidrige Kickback-Praktiken gibt. Die Betreffenden sollten sich allerdings darüber im Klaren sein, daß sie mit ihrer beruflichen und auch privaten Existenz spielen.

„Ärzte Zeitung“: Wie geht Ihr Unternehmen mit den aktuellen Umbruchprozessen um?

Krimmel: Bioscientia ist derzeit eine Betriebsgesellschaft für rund 30 Ärzte aus den Bereichen der medizinischen Diagnostik an bundesweit acht Standorten. Innerhalb der kommenden zwei Jahre wollen wir Bioscientia zu einem Verbund regionaler Kompetenzzentren weiterentwickeln. Dafür nutzen wir insbesondere die neue Option der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die es Bioscientia ermöglicht, vertragsärztliche Leistungen mit angestellten Ärzten zu erbringen. Noch in diesem Jahr wollen wir mit einem solchen Bioscientia-MVZ in Berlin starten. Gerade in der investitionsintensiven Labormedizin bietet die Tätigkeit als angestellter Arzt im MVZ neue Möglichkeiten. Denn welcher junge Kollege könnte es sich heute noch leisten, für mehrere Millionen Euro eine Laborarztpraxis zu übernehmen oder gar zu gründen? Auch weitere Themen auf unserer Agenda ergeben sich unmittelbar aus den neuen Spielräumen des GKV-Modernisierungsgesetzes. Dazu gehören direkte Versorgungsverträge mit Krankenkassen und natürlich insbesondere die Integrierte Versorgung.

„Ärzte Zeitung“: Bleiben wir bei der Integrierten Versorgung: Wie sehen Sie da die Rolle der Laborärzte und -verbünde?

Krimmel: Große Laborverbünde sind die idealen Partner in integrierten Versorgungsprojekten. Wir sind bereits heute an verschiedenen Standorten im Bundesgebiet Dienstleister für Niedergelassene und Kliniken. Außer der reinen Labordienstleistung können wir unsere Kompetenzen und Erfahrungen etwa im elektronischen Datenaustausch oder im Einkauf von Praxis- und Klinikprodukten einbringen. Und schließlich sind wir auch Logistik-Experten. Der Fahrdienst von Bioscientia bewältigt pro Tag mehr als 90 000 Kilometer, um in rund 8000 Praxen und 400 Kliniken Probenmaterial abzuholen. Insgesamt verfügen wir also über hohe Kompetenzen exakt an den Schnittstellen der integrierten Versorgung: Wir können über die Labordienstleistung Krankenhäuser und Arztpraxen zusammenbringen und zusätzliche Hilfestellung bei der Lösung von Kommunikations-, Logistik- und Einkaufsproblemen anbieten.

„Ärzte Zeitung“: Bei so viel Selbstbewußtsein ist Ihnen um die Zukunft der deutschen Laborärzte nicht bange, oder doch?

Krimmel: In der Tat nicht. Die großen Praxen und Praxisverbünde im deutschen Labormarkt sind gut aufgestellt – und diese Leistungsfähigkeit nützt Zuweisern, Patienten und Krankenversicherern gleichermaßen. Außerdem wollen wir an der sich abzeichnenden Globalisierung der Labormärkte und vor allem am Zusammenrücken in Europa partizipieren. Schon heute dürften die deutschen Laborpraxen europäische Marktführer in Sachen Effizienz und Wirtschaftlichkeit sein. Bioscientia erwirtschaftet bereits sechs Prozent des Umsatzes im Ausland, wobei wir besonders stark im Nahen Osten sind, zum Beispiel in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägypten.

Zur Selbstzufriedenheit oder gar Überheblichkeit besteht allerdings überhaupt kein Anlaß. Wir sind nach wie vor in hohem Maße abhängig von den gesundheitspolitischen Entscheidungen in Berlin. Daß diese kaum berechenbar, geschweige denn beeinflußbar sind, damit müssen sich Laborärzte genauso abfinden wie alle anderen Kollegen.

Fünf große Player prägen den Labormarkt

An fünf großen Akteuren oder Ärztegruppen kommt niemand vorbei, der sich mit der Struktur deutscher Laborarztpraxen beschäftigt: Die Gruppe um das Labor Limbach (Heidelberg), das Labor Schottdorf (Augsburg), die im LADR-Verbund kooperierenden Ärzte (Dr. Kramer und andere, Geesthacht), die mit dem Labordienstleister Bioscientia (Ingelheim) zusammenarbeitenden Laborarzt-Praxen (Professor Heicke und andere) und die im Synlab-Verbund kooperierenden Labormediziner – sie gelten in der Branche als die fünf Wichtigsten, die bundesweit aktiv sind und etwa 50 000 zuweisende Ärzte auf sich vereinigen.

Die Umsätze dieser fünf werden von Branchen-Kennern auf jeweils dreistellige Millionenbeträge geschätzt – oder sie liegen nur knapp unter dieser Grenze. Gleich danach folgen bedeutende regionale Player – auch mit fachspezifischen Stärken. Branchen-Insider nennen als Beispiele das Labor Wagner und Kollegen in Niedersachsen (Göttingen) oder auch das Labor Stollberg, Schöngen und Kollegen in Leverkusen und Köln.

Nach Auskunft der KBV beteiligten sich zum 31. Dezember 2002 – das ist die aktuellste vorliegende Zahl – 588 Laborärzte an der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland. Darunter waren 505 niedergelassene Labormediziner, die anderen sind angestellte und ermächtigte Kollegen. Für kassenärztliche Laborleistungen (Allgemein- und Speziallabor) wurden nach KBV-Angaben im Jahr 2003 insgesamt etwa 1,787 Milliarden Euro an Vergütung gezahlt.

Infos zu den genannten Akteuren: Labor Limbach: www.labor-limbach.de; Labor Schottdorf: www.schottdorf.de; LADR-Verbund: www.ladr.de; Labordienstleister Bioscientia: www.bioscientia.de; Synlab-Verbund: www.synlab.de; Laborpraxis Wagner und Kollegen: www.labor-wagnerstibbe.de; Laborpraxis Stollberg und Kollegen: www.labor-leverkusen.de

Verfasser
Dr. med. Lothar Krimmel, Martin Schwarzkopf

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: „Zuweiser profitieren vom Labor-Wettbewerb“ – Interview. In: Ärzte Zeitung (Ärzte Zeitung Verlags-GmbH, Neu-Isenburg), 23.09.2004

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