Kostenerstattung im Aufwind

ARZT & WIRTSCHAFT (2001)
Kostenerstattung im Aufwind

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Kaum ein anderes GKV-Thema wurde in der Vergangenheit im Vergleich zu seiner gesundheitspolitischen Bedeutung so stiefmütterlich behandelt wie das Wahlrecht der Versicherten auf Kostenerstattung. Nachdem Horst Seehofer mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform die Kostenerstattung als Instrument der Flexibilisierung erkannt und dieses Wahlrecht auf alle Versicherten ausgeweitet hatte, wurde es von der neuen Regierungskoalition bereits 1999 als „Abkassiermodell der Ärzteschaft“ verunglimpft und auf die freiwillig Versicherten beschränkt.

Doch mit den wachsenden Ansprüchen der Versicherten bei gleichzeitig stagnierenden Kasseneinnahmen wird sich dieser gesetzgeberische Entmündigungsversuch nicht mehr lange halten lassen. Kostenerstattung steht in der Öffentlichkeit zunehmend für eine optimierte und flexible medizinische Versorgung. Wer die Rationierungsfallen einer budgetierten gesetzlichen Krankenversicherung einmal selbst erlebt hat, möchte die mit der Kostenerstattung verbundenen Freiheitsrechte nicht mehr missen.

Das Recht auf Kostenerstattung ergibt sich unmittelbar aus dem in Artikel 2 des Grundgesetzes garantierten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ein Staat, der 60 Millionen Bürger zwangsweise einer gesetzlichen Krankenversicherung zuweist, hat nicht das Recht, diesen Bürgern einen Erstattungsanspruch zu versagen, wenn sie sich für eine individuell optimierte, über den Versorgungsanspruch in der GKV hinausgehende Behandlung entscheiden.

Doch auch aus der gesundheitspolitischen Einsicht heraus, die bereits Horst Seehofer zu entsprechendem Handeln veranlasst hat, wird die Regierungskoalition ihre Haltung zur Kostenerstattung überprüfen müssen. Denn Kostenerstattung steht auch für eine Stärkung der Eigenverantwortung, die Schlüsselelement jeder künftigen Gesundheitsreform sein wird.

In weiser Voraussicht haben einige Kassen bereits heute in ihren Satzungen der Kostenerstattung einen privilegierten Platz eingeräumt. So können zum Beispiel die freiwillig Versicherten bei der Techniker Krankenkasse weitgehend frei über die Inanspruchnahme der Kostenerstattung beim jeweiligen Arzt entscheiden. Die TK unterstreicht damit ihren Willen, anspruchsvollen Versicherten eine Heimat in der GKV zu geben.

In Ergänzung zu dieser wachsenden Flexibilität in der GKV beginnen die privaten Krankenversicherungen allmählich, ihre Angebote zu Kostenerstattungstarifen zu überarbeiten und um neue Produkte zu ergänzen. So hat die DKV bereits angekündigt, Ende des Jahres einen modernen Kostenerstattungstarif anzubieten, der den Kassenpatienten zusätzliche Optionen der Privatbehandlung eröffnen soll.

Die DKV tut dies nicht aus Selbstlosigkeit. Für die private Krankenversicherung ist es von entscheidender Bedeutung, für die Zeit nach der kommenden, stärker auf Eigenverantwortung setzenden Gesundheitsreform gerüstet zu sein. Wer dann bereits über gut kommunizierte Produkte verfügt, wird in diesem neuen Markt bestens aufgestellt sein. Denn auch hier gilt einmal mehr der ultimative Lehrsatz des ausgehenden 20. Jahrhunderts: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Kostenerstattung im Aufwind – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 09/2001

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