Wachstumsmarkt Gesundheit

ARZT & WIRTSCHAFT (2001)
Wachstumsmarkt Gesundheit

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Der Gesundheitsmarkt, also der Markt für Dienstleistungen und Produkte im Gesundheitswesen, ist in Deutschland mit einem Anteil von mehr als zehn Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bereits heute der dominierende Wirtschaftsfaktor. Innerhalb des Gesundheitsmarktes verharrt allerdings der Anteil der GKV-Ausgaben am BIP bereits seit gut zehn Jahren bei rund 6,2 Prozent, so dass in dieser Hinsicht von der vielfach beschworenen „Kostenexplosion“ keine Rede sein kann.

Mehr als vier Prozent des BIP werden heute bereits für private Gesundheitsleistungen aufgewendet. Auch künftig wird Wachstum im Dienstleistungssektor Gesundheit kaum noch in der Kassenmedizin, sondern nur im privat finanzierten Gesundheitsmarkt stattfinden können. Daher ist es unverständlich, wenn ausgerechnet von Ökonomen und Gesundheitspolitikern der angeblich zu hohe Anteil der Gesamt-Gesundheitsausgaben am BIP kritisiert wird. Hierin kommt ganz offensichtlich eine systematische Wahrnehmungsschwäche hinsichtlich des Gesundheitswesens als Wachstumsbranche zum Ausdruck.

Die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer griff in Diskussionen nicht selten zu dem verräterischen Bild, die Politik stelle dem Gesundheitssystem 250 Milliarden Mark „zur Verfügung“ und dies müsse nun bitte schön reichen. Dabei hätte der diplomierten Volkswirtin klar sein müssen, dass bereits seit den 60er Jahren die Gesundheitsausgaben in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht mehr als staatliche Transferleistungen definiert werden, sondern dass dem Gesundheitswesen vielmehr eine eigenständige Wertschöpfung als Dienstleistungsbranche zuerkannt wird.

Es gehört daher zu den eigentümlichsten blinden Flecken der Gesundheitspolitik, dass der Gesundheitsmarkt immer noch nicht als volkswirtschaftlich zunehmend wichtiger Dienstleistungssektor mit hohem Wachstums- und Beschäftigungspotential wahrgenommen wird, sondern vielfach weiterhin als „Kostgänger der Gesellschaft“ dargestellt wird. Angesichts der damit verbundenen Gefährdung der wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Chancen ist vor allem die fortgesetzte politische Diskriminierung des privaten Gesundheitsmarktes fatal.

Während Wachstumsraten im Dienstleistungssektor freudig registriert werden, sollen diese ausgerechnet im Gesundheitswesen bedenklich sein. Darin spiegelt sich eine geschichtlich überholte Auffassung staatlicher Aufgabenzuordnung wider: Einem demokratisch legitimierten Staat hat es schlichtweg egal zu sein, ob seine Bürger in Urlaubsreisen oder Wohnungseinrichtungen, komfortable Autos, Haustiere oder in private Gesundheitsleistungen investieren.

Erst in jüngster Zeit scheint sich eine Trendwende anzubahnen. Auch die Regierungskoalition nimmt inzwischen zur Kenntnis, dass das Wachstum des privaten Gesundheitsmarktes ein Weg sein könnte, das Beschäftigungspotenzial der Gesundheitsbranche zur Entfaltung zu bringen, ohne die Lohnnebenkosten und damit den Standort Deutschland zu belasten. Vielleicht hat man auch erkannt, dass die Wähler zunehmend bereit sind, Gesundheitsleistungen in ihre privaten Finanzentscheidungen einzubeziehen.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Wachstumsmarkt Gesundheit – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 11/2001

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