Die Kassen im Wettbewerb: Perspektiven aus ärztlicher Sicht

Forum für Gesellschaftspolitik (1996)

Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) und Krankenkassen

Die gesetzlichen Krankenkassen durchleben derzeit infolge des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) die größten Umwälzungen ihrer Geschichte. Die konkreten Auswirkungen von Risikostrukturausgleich und Kassenwahlfreiheit sind derzeit weder für das System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) insgesamt noch für einzelne Krankenkassen absehbar. Dennoch scheint für alle Kassenarten klar, daß die Zukunft nur im „Wettbewerb“ liegen kann.

Wettbewerbsparameter

Vor dem Hintergrund der mit dem Risikostrukturausgleich in weiten Bereichen finanziell gleichgestellten Krankenkassen kommen – neben allgemeinen Kriterien der „Kundenorientierung“ und des „Serviceangebots“ – im wesentlichen drei Wettbewerbsparameter in Frage:

  • Beitragssatz,
  • Leistungskatalog,
  • Versorgungsstrukturen.

Aus der Sicht der Krankenkassen sind vor dem Hintergrund des Risikostrukturausgleichs die Möglichkeiten eines Wettbewerbs über die Beitragssätze zunächst recht begrenzt. Dabei wird allerdings häufig vergessen, daß die auch bei Gleichstellung aller anderen Parameter durchaus noch unterschiedliche Morbidität zwischen den einzelnen Kassenarten für Krankenkassen mit unterdurchschnittlicher Morbidität durchaus einen beitragsrelevanten Wettbewerbsvorteil darstellen könnte. Einem Wettbewerb über den Umfang des Leistungskatalogs sind nach dem derzeitigen Recht enge Grenzen gesetzt. Auch in einer möglichen dritten Stufe der Gesundheitsreform werden diese Grenzen nur geringfügig erweitert werden können, da Grundlage einer solidarisch finanzierten Krankenversicherung ein weitgehend vergleichbarer Leistungskatalog sein muß. Von größerer Bedeutung ist für die Krankenkassen ein künftiger Wettbewerb über Versorgungsstrukturen. Hierauf beziehen sich auch die wesentlichen Inhalte in den Wettbewerbskonzepten der Krankenkassen.

„Wettbewerbsfeindliche“ Grundbedingungen

Allerdings stellt sich die Frage, ob die Wettbewerbsidee im Herbst 1992 in Lahnstein wirklich zu Ende gedacht worden ist. Die bestimmenden Parameter der gesetzlichen Krankenversicherung sind nach wie vor:

  • die Pflichtmitgliedschaft,
  • die solidarische Finanzierung,
  • der Risikostrukturausgleich,
  • der einheitliche Leistungskatalog.

Angesichts dieser vier geradezu „wettbewerbsfeindlichen“ Grundbedingungen kann Wettbewerb in einer gesetzlichen Krankenversicherung schnell auf Abwege führen, auch wenn diese Abwege von den Krankenkassen mit dem Begriff des „solidarischen Wettbewerbs“ ummantelt werden.

Gefahren für eine ordnungsgemäße ärztliche Versorgung

In der Tat bietet der mit dem GSG eingeleitete Wettbewerb der Krankenkassen eine ganze Reihe von Fallstricken und Gefahren für eine ordnungsgemäße ärztliche Versorgung der Versicherten. Hierzu gehören:

  • die Aussonderung von ernsthaft Kranken als unliebsame „Störfaktoren“ im Wettbewerb (Kassenmotto für Patienten: „Don’t get sick, and if you must die – do it quick!“);
  • die Fehl-Allokation knapper Ressourcen für pseudomedizinische Werbeangebote, die inzwischen von der Beachparty über Hatha-Yoga bis zum Indoor-Climbing reichen;
  • die Aufsplitterung des Versorgungssystems in für Patienten und Ärzte undurchsichtige Einzelbeziehungen;
  • der Kostenanstieg im Gesamtsystem aufgrund der Akkumulation unsinniger „Einzel-Rationalitäten“ von Krankenkassen.

Im übrigen scheinen im Hinblick auf den künftigen Wettbewerb (um Versichertenanteile und Beitragssätze) folgende Überlegungen von Bedeutung:

  1. Die „Wanderungsbereitschaft“ der Versicherten wird möglicherweise bei weitem überschätzt. Nur ein kleiner Teil der Versicherten wird angesichts der vergleichsweise marginalen Unterschiede zwischen den einzelnen Krankenkassen für einen Wechsel zur Verfügung stehen. Dabei ist völlig offen, ob es sich bei den „Wanderungswilligen“ um „gute Risiken“ im Sinne der Kostenbelastung handelt, ob also die Krankenkassen überhaupt um diesen Teil der Versicherten in Konkurrenz treten sollten.
  2. Von den durch einheitlichen Leistungskatalog und Risikostrukturausgleich sehr eingeschränkten Wettbewerbsparametern wird sich als einziger der Beitragssatz als relevantes Entscheidungskriterium durchsetzen können. Zur Erzielung eines möglichst niedrigen Beitragssatzes bietet sich ausschließlich das „qualitative“ Wachstum des Versichertenbestandes an, entweder durch Akquisition guter Risiken oder durch Selektion schlechter Risiken. Bestimmte Versorgungsstrukturen werden, da im Erfolgsfall unmittelbar von anderen Kassen kopiert, keinen auch nur mittelfristigen Effekt auf Beitragssatz-Vorteile haben.
  3. Das AOK-System wird wegen der trotz Risikostrukturausgleich eindeutig höheren Morbiditätsbelastung im Wettbewerb um niedrige Beitragssätze verlieren. Dies wiederum wird sich das Gesamtsystem kaum leisten können.

Zum „Aufbrechen der Monopole“

Im Hinblick auf das inzwischen ermüdende, weil substanzlose Gerede vom „Aufbrechen der Monopole“ auf der Seite der Kassenärztlichen Vereinigungen als wichtigste Wettbewerbsvoraussetzung seien folgende vier Bemerkungen angebracht:

  1. Es kommt einem schlichten Leugnen der historischen Wahrheiten gleich, wenn man meint, die niedergelassenen Ärzte würden sich nach einer Zerschlagung der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht neu organisieren. „Der historische Entwicklungsprozeß der GKV, der auf seiten der Ärzteschaft zur Herausbildung einer monopolistisch organisierten Anbieterposition geführt hat, zeigt, daß es eine wenig realistische Vorstellung ist, die Organisation von Anbieterinteressen dadurch aus der Welt schaffen zu wollen, daß man ihre real existierende rechtliche Ausgestaltung durch einen gesetzgeberischen Akt abschafft.“ (GRIESEWELL,
    1994)
  2. Die Vertragsärzteschaft ist keineswegs ein monolithischer Block, sondern in mindestens 14 Arztgruppen mit jeweils unterschiedlichen Vorstellungen, Zielen und Präferenzen zergliedert.
  3. Angesichts einer gerade in Ballungszentren klar erkennbaren vertragsärztlichen Überversorgung steht der einzelne Vertragsarzt – mehr als jede Einzelkasse – im Wettbewerb um die Gunst der Versicherten. Diesen Wettbewerb kann er nur mit einer konkurrenzfähigen Qualität und einem konkurrenzfähigen Service bestehen; beides sind auch Wettbewerbsparameter der gesetzlichen Krankenkassen.
  4. Die postulierten Qualitäts- und Effizienzsprünge einer wettbewerblichen Krankenversicherung sind bislang reine Spekulation und vom Podium der theoretischen Ökonomie noch keinen Schritt weit herabgestiegen. Demgegenüber ist im Rahmen der Regelungen des GSG ausgerechnet die „monopolartige Stellung der Anbieterinteressen“ der Garant für die Einsparerfolge gewesen.

Der Kranke als Störfaktor im Wettbewerb

Im Zusammenhang internationaler gesundheitsökonomischer Diskussionen werden die derzeitigen Wettbewerbsvorstellungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland im übrigen eher amüsiert bis verwundert zur Kenntnis genommen. Es wird gefragt, wo angesichts der hohen Qualität des im internationalen Vergleich zudem kostengünstigen deutschen Gesundheitswesens die Gründe dafür liegen, ein derart bewährtes System nunmehr in eine völlig ungewisse Zukunft zu schicken.

Gerade anglo-amerikanische Gesundheitsökonomen weisen ferner darauf hin, daß der von volkswirtschaftlichen Theoretikern in der gesundheitspolitischen Debatte bis ins Absurde strapazierte Begriff „Wettbewerb“ sich nicht im Selbstzweck erschöpfen, sondern ausschließlich zielgerichtet zur Anwendung kommen darf. Gegen diesen Grundsatz der Gesundheitsökonomie verstoßen fast alle derzeit vom Wettbewerbsvirus erfaßten Kassenstrategen, die den Wettbewerbsgedanken mißbrauchen, um den eigenen Selbstfindungsprozeß aus der GSG-bedingten Sinnkrise heraus zu katalysieren, und dabei die Erfordernisse einer bedarfsgerechten Krankenversorgung teilweise aus den Augen zu verlieren scheinen.

Viele Befürworter von Wettbewerbstheorien im Gesundheitswesen zeigen in diesem Zusammenhang einen Enthusiasmus, der eigentümlich mit der Tatsache kontrastiert, daß es keinerlei empirischen Beweis dafür gibt, daß Wettbewerb im Gesundheitswesen tatsächlich zu den gesundheitspolitisch gewünschten Ergebnissen führt. Besonders eindrucksvoll lassen sich die fatalen Folgen einer unkritischen Implementierung von Wettbewerbsideen in die Gesundheitsversorgung am Beispiel der Health Maintenance Organizations (HMO’s) in den Vereinigten Staaten zeigen. Folgende drei Haupteffekte lassen sich erkennen:

  1. Die verfügbaren Ausgaben für die Krankenbehandlung sinken, während die Profite der kommerziellen Gesundheitsverwaltungen ins Exorbitante wachsen.
  2. Chronisch Kranke und Schwerkranke werden praktisch unversicherbar („patientdumping“).
  3. Die Gesamtausgaben des Gesundheitssystems steigen durch die gezielte Risikoselektion der HMO’s.

Diese Gefahren werden von Kassenstrategen im eigenen Lager durchaus erkannt:

„Im verschärften Wettbewerb der Krankenkassen werden potentiell gesunde Versicherte umworben, während es sich weniger lohnt, sich für Schwerkranke oder solche Gruppen zu engagieren, bei denen soziale und gesundheitliche Risiken kumulieren“. Auf diese Weise „wird die betriebswirtschaftliche Rationalität die Erreichung gesundheits- und sozialpolitischer Ziele beeinträchtigen. … Da gesundheitspolitisch orientierte Wettbewerbsparameter fehlen, läuft der mit dem GSG intensivierte Wettbewerb zwischen den Krankenkassen weitgehend leer und droht, die Ziele der GKV zu pervertieren.“ (KNIEPS, 1995)

Somit droht das Wettbewerbssystem der Krankenkassen letztlich auf die Vernachlässigung der Krankenversorgung hinauszulaufen. Was bisher in den USA lediglich in HMO-Systemen als „patient-dumping“ bekannt war, kann künftig zum Regelfall der Krankenversorgung in Deutschland werden: Welche Krankenkasse wird im künftigen Wettbewerb um Gesunde noch ernsthaft Interesse daran haben, Krebspatienten, Bluter, Diabetiker, Rheuma-Kranke oder HIV-infizierte durch versorgungsgerechte Leistungsangebote an sich zu binden? Der Jugend-und Gesundheitswahn der kommerziellen Werbeindustrie könnte auf diese Weise ein makabres Spiegelbild in den künftigen deutschen „Gesundheitskassen“ finden. Die durch Risikostrukturausgleich und Kassenwahlfreiheit heraufbeschworene Existenzkrise der gegliederten gesetzlichen Krankenversicherung darf nicht zur Ausgrenzung insbesondere von chronisch Kranken führen!

Die Vorstellungen der Ärzteschaft

Bei aller Kritik an den teilweise unreflektierten Vorstellungen der Krankenkassen haben selbstverständlich auch die Vertragsärzte ein großes Interesse an vernünftigen Ansätzen zur Weiterentwicklung der Vertragsstrukturen in der GKV.

Dabei ist es zunächst erforderlich, sich über die Ziele einer Weiterentwicklung im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung klar zu werden. Insbesondere angesichts der Tatsache, daß die Krankenkassen unter den Bedingungen eines Verdrängungswettbewerbs um „Versichertenanteile“ zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Qualität der Krankenversorgung werden können, kann die Weiterentwicklung der Strukturen nur bei Einhaltung folgender „Wettbewerbsgrundsätze“ verantwortet werden:

  • Die Kernleistungen der Krankenversorgung müssen erhalten bleiben und dürfen nicht Opfer eines Kassenwettbewerbs sein, der auf die Ausschaltung „schlechter Risiken“, d.h. insbesondere chronisch Kranker, zielt.
  • Die ausschließlich marketinggesteuerte Finanzierung von medizinischem Unsinn aus Solidarbeiträgen muß ausgeschlossen bleiben, zumal sich die gesetzliche Krankenversicherung hierdurch von ihren rechtlichen Grundlagen entfernt. Eine strukturelle und inhaltliche Weiterentwicklung der Krankenversorgung kann nur aufgrund definierter Versorgungsmodelle erfolgen. Keine Experimente auf Kosten einer qualitativ gesicherten Krankenversorgung!
  • Neue Versorgungsstrukturen sind einheitlich für alle Kassenarten zu vereinbaren. Kein Verwirrspiel mit Ärzten und Patienten z.B. durch unterschiedliche, kassenspezifische „Hausarztmodelle“!
  • Vertragliche Vereinbarungen (auch für bestimmte Arztgruppen) nur mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.
  • Einführung neuer Versorgungsstrukturen zunächst als Erprobungsregelungen auf der Basis von Freiwilligkeit bei Versicherten und Vertragsärzten.

Darüber hinaus darf kein Zweifel daran bestehen, daß auch in Zukunft an den bewährten Grundprinzipien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen
festgehalten werden muß. Dies beinhaltet die Beibehaltung des Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigungen ebenso wie die Beibehaltung des öffentlich-rechtlichen Zulassungswesens, verbunden mit dem Rechtsanspruch des einzelnen Vertragsarztes auf Teilnahme an künftigen Versorgungsmodellen. Wenn die Einhaltung dieser Grundsätze gewährleistet ist, sind die Vertragsärzte offen für alle Überlegungen hinsichtlich einer sinnvollen, auf die Interessen der Patienten ausgerichteten Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik Deutschland.

Verbesserung der ambulanten Versorgung

Es besteht im übrigen auch innerhalb der Ärzteschaft Übereinstimmung darin, daß die ambulante Versorgung insbesondere im Hinblick auf ärztliche Präsenz, Qualität, Kooperation und Koordination zu verbessern ist. Die freimütige Diskussion hierüber sowie die in der Folge entwickelten Aktivitäten der Kassenärztlichen Vereinigungen gehören sicherlich zu den positiven Effekten der Wettbewerbsdiskussion in der GKV. Folgende Maßnahmen sind hierzu von seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gegenüber der Politik bereits vorgeschlagen worden:

  • Sicherstellung der vertragsärztlichen Präsenz außerhalb der sprechstundenfreien Zeiten;
  • Neugestaltung des ärztlichen Notfall- und Bereitschaftsdienstes durch einen hausärztlichen Bereitschaftsdienst mit fachärztlichem Hintergrunddienst;
  • enge Zusammenarbeit zwischen Ärzten im Notfall- und Bereitschaftsdienst und Ärzten im Rettungsdienst;
  • Verbindung von Notfallpraxen mit Krankenhausaufnahmeeinrichtungen, um Doppelinvestitionen zu vermeiden und die Kooperation mit den Krankenhäusern zu stärken;
  • Einholung einer Zweitmeinung vor Krankenhauseinweisungen außerhalb medizinischer Notfälle.

Vernetzte Praxen

Im Konzept der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Intensivierung der ambulanten Versorgung wird bereits die „Vernetzung von Arztpraxen“ zu einem Praxisverbund als Lösung zur Bewältigung der aufgezeigten Aufgabenstellung angeboten. Um diese Aufgaben wirksam bewältigen zu können, darf dies jedoch kein Schlagwort bleiben, das mehr oder weniger bestehende Formen der Überweisung und kollegialen Zusammenarbeit beschreibt.

Vielmehr muß die Struktur vernetzter Praxen so gestaltet sein, daß die gestellten Anforderungen auch tatsächlich erfüllt werden. Dabei müssen die Strukturen vernetzter Praxen zunächst unabhängig vom Wettbewerb der Krankenkassen ausschließlich unter Versorgungsgesichtspunkten definiert werden. Dies gilt auch deswegen, damit ein Praxisverbund, der sich aufgrund des Modellvertrages mit einer Kassenart bildet, als Einheit bestehen bleibt und die Möglichkeit hat, auch Patienten anderer Kassenarten zu versorgen.

Es dürfte im übrigen kaum möglich und auch rechtlich problematisch sein, Sonderversorgungssysteme mit speziellen medizinisch differenzierenden Versorgungsaufgaben zu schaffen, da sie den Arzt in Widerspruch zu seinem aus der Teilnahme am System der vertragsärztlichen Versorgung sich ergebenden gleichartigen Behandlungsauftrag gegenüber den übrigen Versicherten bringen. Eher sollte es gelingen, besondere versorgungsorganisatorische Abläufe zu schaffen, bei denen der Arzt nicht in Pflichtenkollision mit seinem inhaltlichen Behandlungsauftrag gerät, wie beispielsweise erhöhte Präsenzpflicht oder Koordinations- und Kooperationsaufgaben im Hinblick auf die übergreifende Versorgung des Patienten durch andere Leistungserbringer.

Ebenen der Vertragsgestaltung

Hinsichtlich der vertraglichen Ausgestaltung sind folgende drei Regelungsbereiche zu unterscheiden:

Erste Ebene: Vertrag zwischen KV und Krankenkasse

Übernahme der Sicherstellungsverantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber dem Vertragspartner im Hinblick auf folgende Regeln:

  • Sicherstellungsverantwortung,
  • Beschreibung der Versorgungsstruktur, die Gegenstand des Vertrags ist,
  • Durchgriffsverpflichtung für die teilnehmenden Ärzte,
  • Vergütungsregelungen und Übernahme besonderen Kostenaufwands.

Zweite Ebene: Rechtsbeziehung der KV zu den Ärzten

  • Bereiterklärung der Ärzte zur Teilnahme an der Versorgungsaufgabe gegenüber der KV,
  • Annahme der Bereiterklärung durch die KV.

Dritte Ebene: Ärzte untereinander

Gegenstand der Verabredung der Ärzte untereinander sind folgende Rechte und Pflichten, die spiegelbildlich den im Vertrag zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und ihren Vertragspartnern auf der Kassenseite übernommenen Pflichten zur Gestaltung einer besonderen Vertragsstruktur entsprechen müssen:

  • Präsenzpflicht,
  • Sicherung der Qualität (z.B. „second opinion“),
  • Leitstelle (netzübergreifend, netzintern),
  • Koordination,
  • Kommunikation (insbesondere EDV-interne Kommunikation).

Je nach Verdichtung der an der Kooperation Beteiligten auch im Hinblick auf die Übernahme von Aufgaben im Zusammenwirken mit nichtärztlichen Fachberufen und darauf bezogenen Vergütungen sind unterschiedliche Rechtsgestaltungen denkbar, die bis zu einer „Verselbständigung“ des „Netzes“ in einer eigenständigen Gesellschaftsform führen können.

Vertragsangebote der Kassenarten

Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß allein aufgrund von Empfehlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen Ärzte sich auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten zu einem solchen Praxisverbund zusammenschließen. Es bedarf vielmehr einer zusätzlichen Finanzierung als Anreiz, um entsprechende Strukturen zu fördern. Die Vertragsangebote der einzelnen Kassenarten auf Erprobung neuer Versorgungs- und Vergütungsmodelle müssen daher darauf überprüft werden, ob sie geeignet sind,

  • die Vernetzung bestehender Arztpraxen in der aufgezeigten Weise zu fördern,
  • ohne einheitliche Versorgungsstrukturen für die Bevölkerung zu gefährden.

Folgende Vertragsmodelle stehen zur Zeit zur Diskussion:

1. Hausarzt-Abo des AÜK-Bundesverbandes

Das Hausarzt-Abo des AOK-Bundesverbandes enthält die freiwillige Bindung des Patienten an einen Hausarzt seiner Wahl, der bestimmte vertraglich vereinbarte Qualifikationen erfüllt
und sich bestimmten Präsenzpflichten und Qualitätsmaßnahmen unterzieht. Der Hausarzt erhält dafür eine zusätzliche Vergütung, die sich bei Nachweis von Einsparungen insbesondere im Krankenhausbereich erhöht.

Das Hausarzt-Abo läßt sich mit dem Modell vernetzter Praxen verbinden, da in diesem Falle der im Versorgungsnetz gewählte Hausarzt Koordinator für die Inanspruchnahme der anderen Ärzte im Versorgungsnetz wäre; die Vergütung der Ärzte insgesamt erfolgt auf der Grundlage des EBM. Eine Bildung von Budgets ist mit dem Hausarzt-Abo nicht verbunden.

2. BKK-Modell kombinierter Budgets

Das BKK-Modell ist von der Bildung vernetzter Praxisstrukturen abhängig. Die aufgezeigten Anforderungen an die Strukturen solcher vernetzter Praxen würden mit dem BKK-Modell abgedeckt werden können. Das als Vergütungsgrundlage für vernetzte Praxisstrukturen vorgesehene kombinierte Budget ist ein virtuelles Budget, das die durchschnittlichen, auf Versicherte bestimmter Risikogruppen anfallenden Behandlungskosten zum Orientierungsmaßstab möglicher Einsparungen macht. Wird dieses Budget unterschritten, erfolgt eine Drittelung des Einsparbetrages zugunsten der Versicherten, zugunsten der Ärzte und zugunsten der Finanzierung qualitätssichernder Maßnahmen. Den Ärzten in der vernetzten Praxisstruktur wird für die Wahrnehmung bestimmter zusätzlicher Aufgaben und einer gesteigerten Präsenzpflicht eine Vergütung mit fest vereinbarten Punktwerten zugestanden.

Das Modell ist mit den Vorstellungen der KBV zur Vernetzung von Arztpraxen kompatibel. Die Auswirkungen kombinierter Budgets auf die Vergütungssituation der Ärzte, aber auch auf die Qualität der ärztlichen Versorgung, müßte modellhaft erprobt werden.

3. Ersatzkassenmodell vernetzter Praxen

Das Ersatzkassenmodell vernetzter Praxen enthält vergleichbare strukturelle Anforderungen an eine Praxisvernetzung wie das Betriebskrankenkassenmodell. Es soll zunächst in drei Modellregionen mit drei Modellpraxen erprobt werden, wobei die Ersatzkassen insbesondere in die EDV-Kommunikation und die Bildung einer Koordinierungsstelle Finanzmittel investieren wollen. Für die gesteigerte Präsenz und Verpflichtungen zur Qualitätssicherung sollen zusätzliche Vergütungen gezahlt werden. Auch das Ersatzkassenmodell sieht die Weitergabe von Einsparungen bei einer Unterschreitung von Durchschnittsbehandlungskosten an die Ärzte im Praxisverbund vor.

Das Ersatzkassenmodell ist daher ebenfalls mit den Strukturanforderungen an vernetzte Praxen kompatibel. Die Auswirkungen der besonderen Vergütungsstrukturen und die Weitergabe von Einsparungen müßten ebenfalls in Modellversuchen erprobt werden.

Alle drei Kassenverbände sind daran interessiert, auf Bundesebene einen Rahmenvertrag zur Durchführung von Modellversuchen in einzelnen Bereichen abzuschließen. Dabei soll die Teilnahme sowohl für die Kassenärztlichen Vereinigungen als auch für Ärzte und Versicherte absolut freiwillig sein. In dem Rahmenvertrag sollten lediglich die Grundstrukturen der gewünschten Versorgungsmodelle festgelegt werden, um die Flexibilität der regionalen Vertragsgestaltung zu wahren.

Verfasser
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Die Kassen im Wettbewerb: Perspektiven aus ärztlicher Sicht. In: Forum für Gesellschaftspolitik (Verlag Broll & Lehr, Bonn), Januar 1996.

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