Die Angst der IGeL-Gegner

ARZT & WIRTSCHAFT (2001)
Die Angst der IGEL-Gegner

Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel

Wenn Krankenkassen gegen die zunehmende Verbreitung von Selbstzahlerleistungen in Arztpraxen zu Felde ziehen, kann man dies nachvollziehen. Die Kassen erkennen insbesondere den Zusammenbruch ihrer bislang blendend funktionierenden Strategie, auf die Selbstausbeutung der Kassenärzte zu setzen: Sie erhielten sowohl einen unbegrenzten ärztlichen Service als auch neue ärztliche Leistungen bei budgetiertem Gesamthonorar praktisch zum Nulltarif. Deswegen sind sie im Abwehrkampf nicht gerade zimperlich, wenn sie etwa den PSA-Test zur Krebsfrüherkennung als „gefährliche Leistung“ verunglimpfen, die von Männern gewünschte Glatzenbehandlung als „Schrottleistung“ diffamieren oder bei der Glaukom-Vorsorge trotz jahrelanger Ablehnung im Bundesausschuss nunmehr behaupten, diese sei doch schon immer Kassenleistung gewesen.

Zwar rechtfertigt der Schmerz der Krankenkassen über den endgültigen Verlust des Definitionsmonopols für Gesundheitsleistungen durchaus eine gewisse Verarbeitungszeit. Diese sollte gleichwohl bald zum Abschluss kommen, da die positiven Aspekte des IGeL-Ansatzes immer deutlicher erkennbar werden: Der Gesundheitsmarkt kann wachsen und sein erhebliches Beschäftigungspotenzial entfalten, ohne die Lohnnebenkosten zu belasten. Genau dies wird auch die Maxime der Bundesregierung für die Gesundheitsreform 2003 sein.

Heuchelei: IGeL auf Chipkarte 

Daher ist es auf den ersten Blick kaum verständlich, dass auch viele Kassenärzte immer noch zu den „IGeL-Verweigerern“ gehören. Zur Aufklärung des scheinbaren Widerspruchs hilft ein Blick auf die ärztliche Psyche. Die meisten Ärzte sind bereits aufgrund ihrer beruflichen Sozialisation nicht darauf vorbereitet, selbst hochwertige Individuelle Gesundheitsleistungen als Selbstzahlerleistungen aktiv anzubieten. Es ist nachvollziehbar, dass diese Kollegen aktives unternehmerisches Handeln für sich selbst ablehnen und Lösungen für ihre unbefriedigende wirtschaftliche Lage stets nur von der KV oder von der Politik einfordern. Somit trennt der IGeL-Ansatz die Kassenärzte in zwei Lager: Diejenigen, die Selbstzahler-Leistungen in der Praxis erfolgreich anbieten, und diejenigen, die dies nicht können.

Die privatmedizinisch erfolgreichen Ärzte werden mit dieser Form der „Zwei-Klassen-Medizin“ zurechtkommen. Die Grenze der Toleranz ist jedoch dort erreicht, wo IGeL-Gegner in eindeutig wettbewerbswidriger Absicht Selbstzahlerleistungen auf Chipkarte selbst erbringen oder aber – zum Beispiel im Laborsektor – auf Chipkarte überweisen. Wer so handelt, schädigt angesichts budgetierter Gesamthonorare nicht nur die Kollegen, sondern begeht auch Abrechnungsbetrug, dem die Kassenärztlichen Vereinigungen viel konsequenter als bisher nachgehen müssen. Darüber hinaus erfüllt die Abrechnung von IGeL-Leistungen auf Chipkarte auch den Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs und wird daher künftig mit Sicherheit zunehmend die Gerichte beschäftigen. Dass die Wettbewerbskammern im Hinblick auf ärztliche Dumping-Angebote keinen Spaß verstehen, zeigen erste Urteile zu diesem Problem. Notorische Chipkarten-Abrechner von IGeL-Leistungen werden sich auf drastische Geldbußen einzustellen haben.

Autor
Dr. med. Lothar Krimmel

Quellenangabe
KRIMMEL, Dr. med. Lothar: Die Angst der IGEL-Gegner – Ceterum Censeo: Gesundheitspolitische Kommentare von Dr. med. Lothar Krimmel. In: ARZT & WIRTSCHAFT (verlag moderne industrie GmbH, 86899 Landsberg), 05/2001

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